London - Wenn Tumore sich im Körper ausbreiten und Metastasen bilden, wandern sie nicht überallhin, sondern gehen auf bevorzugte Organe - Brustkrebs etwa geht oft zur Lunge, aber selten zur Niere. Dazu folgen Tumorzellen im Blut- und Lymphsystem chemischen Pfaden, die von den Organen selbst - für ganz andere Zwecke - markiert werden. Mit diesem Befund hat ein deutsch/amerikanisches Team nicht nur ein altes Rätsel gelöst, sondern auch einen Weg geöffnet, der die Ausbreitung von Tumoren - vielleicht gar ihre Entstehung - blockieren könnte. Bisher konkurrierten drei Hypothesen: Die erste vermutete eine gleichmäßige Ausbreitung der Tumorzellen, die in manchen Organen fruchtbaren Boden finden, Wachstumsfaktoren. Die zweite suchte die Lösung in Markierungen in den Gefäßwänden der betroffenen Organe, an denen die Tumorzellen sich festhaken. Die dritte endlich setzt auf "Chemoattraktion", bei der Organe spezifische Signale aussenden, die von den Tumorzellen aufgefangen werden. Das hat sich nun an Experimenten mit Brustkrebszellen bestätigt: Sie haben einen besonderen Sensor ("Rezeptor": CXCR4) für eine Chemikalie ("Chemokin": CXCL12), die von ihren Zielorganen ausgesandt wird. Natürlich wollen die Zielorgane damit keine Tumore locken, sondern normale Zellen, die sie brauchen - Stammzellen etwa -, aber die Tumorzellen nutzen dasselbe Signal. Und das lässt sich blockieren, zumindest in Mäuseversuchen ist es den Forschern mit einem Antikörper gegen CXCR4 gelungen: Die Tumore metastasierten nicht. Der Befund hat aber noch weiter reichende Konsequenzen. Die Tumorzellen müssen ihren Rezeptor schon früh im ersten befallenen Organ entwickeln. Könnte man ihn auch dort blockieren, wäre der Weg zu einer "Chemoprävention" frei. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 7. 3. 2001)