Kunst und Kultur
Realgewordene und verlorengegangene Utopien
Elisabeth Scharangs Film "Normale Zeiten" macht sich auf die Suche nach dem Sozialismusverständis der 70er Jahre - und was davon blieb
Den meisten ist Elisabeth Scharang als Moderatorin der FM4-Reihe "Das Jugenzimmer" (Freitags, 19:00 Uhr) bekannt. Seit nunmehr 7 Jahren besucht die 32-jährige Journalistin Jugendliche in ihren eigenen "Zimmern" um von dort die spontane, ungezwungene Talk- und Musiksendung zu senden.
Bereits 1987 begann Elisabeth Scharang neben ihrem Studium der Politikwissenschaft/ Soziologie und Philosophie, als Journalistin und Moderatorin beim ORF-Radio
(Ö1, "Zick Zack", "Musicbox") zu arbeiten. Sie ist aber auch eine engagierte Filmemacherin. Ab 1991 gestaltete die gebürtige Steirerin Reportagen und Dokumentationen für die TV-Formate X-Large, Nightbox, Inlandsreport und
Brennpunkt.
1992 erhielt Elisabeth Scharang den Staatspreis für journalistische Leistungen im "Interesse
der Jugend". Seit 1996 arbeitet die vielseitige Journalistin als freie Regisseurin und erhielt für ihre Filmarbeit reichlich Anerkennung. 1999 wurde sie mit dem österreichischen Volksbildungpreis für die
TV-Dokumentationen "Schweigen und Erinnern" und "Eltern vor Gericht" ausgezeichnet.
Am 8. März präsentierte
derStandard.at
gemeinsam mit FM4 ihren neuesten Film "Normale Zeiten" im Wiener Filmcasino.
"Normale Zeiten" ist eine Rückerinnerung an die 70er Jahre, der idealisierten Sozialismusvorstellung unter der Führung von Kreisky. Nach fast dreißig Jahren treffen sich sechs Menschen wieder,
um gemeinsam ein Hörspiel anzuhören. In dem Wohnzimmer
der ehemaligen 68er-Wohngemeinschaft in Wien saßen sie im Sommer 1972
einander schon einmal gegenüber. Die Fragen stellte damals der
österreichische Autor und Vater der Filmemacherin, Michael Scharang, der aus den langen Gesprächen mit sechs Arbeitern und
Arbeiterinnen aus Wien - über ihre Lebensumstände und
Träume - das dokumentarisches Hörspiel "Das Glück ist ein Vogerl" für den
WDR produzierte.
Im Frühjahr 2000 legte Elisabeth
Scharang die alte Audio-Cassette "Das Glück ist ein Vogerl" noch einmal ein.
"Normale Zeiten" ist ein Film über realgewordene und
verlorengegangene Utopien. Es ist die Geschichte von sechs
jungen Arbeitern und Arbeiterinnen, die Anfang der siebziger
Jahre aufgebrochen sind ..... Wohin?
Elisabeth
Scharang interviewt die ArbeiterInnen von damals noch
einmal.
Sie versucht zu ergründen, wie es damals wirklich gelaufen ist - in den siebziger Jahren. Meine Mutter hat eine dieser Cassetten bei sich zu Hause aufgestöbert.
"Arbeiter
erzählen über antiautoritäre Erziehung, über Wohnen in der WG, über freie
Liebe. Diese Themen der siebziger Jahre kannte ich bisher nur aus den
Erzählungen von Intellektuellen und Künstlern. Aus der Sicht von Arbeitern
bekamen sie eine ganz andere Dimension." Das fazinierte Scharang.
"Für mich ist es ein Eintauchen in eine Kontinuität gewesen. Es ging mir
darum, nicht so zu tun, als würde die Geschichte Sprünge machen, sondern
zu zeigen, daß es eine ganz unspektakuläre Entwicklung gibt, an die man
sich nur aufgrund von medialer Darstellung oder der Fernsehbilder selektiv
erinnert. Es ist also nicht plötzlich eine Regierung da, mit der man nicht
einverstanden ist, wie im Februar 2000, sondern es gibt eine sehr
österreichische Entwicklung. Das ist es, was mich in den Gesprächen mit
meinen Interviewpartnern interessiert hat und vor allem in der Aufarbeitung
der politischen Fernseh- und Filmpropagandamaterialien. Diese
Auseinandersetzung hat mein eigenes Geschichtsbild komplett aufgewühlt
und neu zusammengesetzt," so Scharang im Interview mit Bernd Rebhandl.
Filmauswahl:
Das Dorf in der blauen Wüste - Über den Untergang der senegalesischen
Nomaden (1996, 50 min/Video; für ORF/3sat)
Die Menschenmacher - Über die Utopien der Gentechnik
(1997, 45 min/Video; für ORF/RTL)
Die Tage der Kommune - Über die Idee und das Scheitern der Mühlkommune
(1997, 55 min/Video; für ORF Brennpunkt/3sat)
Der Film lief in einer Sonderschau der Diagonale 1998.
Kinder klagen an - Eltern vor Gericht
(1998, 45 min/Video; in ORF Brennpunkt/3sat)
Schweigen und Erinnern - Über die Ereignisse des Novemberpogroms 1938 in
Österreich (1998, 50 min/Video; in ORF Brennpunkt/3sat)
Die Gesellschaftsreporter
(1999, 55 min/Video; ORF Nightwatch)
Achtung, Kamera! Im Netzwerk der totalen Überwachung
(2000, 45 min/Video; ORF Brennpunkt/ Pro7/3sat)
Normale Zeiten
(2001, 85 min/ 35mm; ÖFI/ORF)
(Pia Feichtenschlager)