Wien - Mittwoch Nachmittag wurde im vollbesetzten Oratorium der Österreichischen Nationalbibliothek das von der Österreichischen Gesellschaft für Literatur und der Thomas-Bernhard-Privatstiftung veranstaltete Symposion "Wissenschaft als Finsternis? Methoden und Ergebnisse der Thomas-Bernhard-Forschung" eröffnet. Bis Freitag werden nicht nur Literaturwissenschafter, sondern auch Vertreter anderer Disziplinen einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand zum Werk des vor zwölf Jahren verstorbenen österreichischen Autors geben. Es sei die erste Bernhard-Tagung in Wien, meinte der Germanist Wendelin Schmidt-Dengler in seinem Einleitungsreferat, "das sollte zu denken geben." "Thomas Bernhards Werk stellt für die Literaturwissenschaft die radikalste Herausforderung der österreichischen Literatur seit 1945 dar", hielt Schmidt-Dengler fest, der eine Einführung zu der "Typologie der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Thomas Bernhard" gab. Auf der ganzen Welt würden sich Wissenschafter mit Bernhards Werk befassen. Dabei könne man - je nach Sicht der Dinge - "hermeneutische Anarchie" und "Orientierungslosigkeit" oder "Methodenvielfalt" konstatieren. Die Zahl der Autoren, mit denen Bernhard verglichen worden wäre, sei endlos. Alleine die Liste der im Zusammenhang mit dem "Stimmenimitator" genannten Schriftsteller umfasse 34 Namen, von Gogol bis Rosegger. "Ich meine, dass mit der Erschließung des Nachlasses auch der Übergang zu einer neuen Forschung gegeben ist", sagte Schmidt-Dengler, der dazu anregte, vor allem dem Thema "Thomas Bernhard als Leser", also den Lektürefrüchten Bernhards und ihren Einflüssen auf dessen Texte, künftig verstärkte Aufmerksamkeit zuteil werden zu lassen. Doch Bernhard habe seine Texte von Deutbarkeit und Verfügbarkeit abgeschottet. Daher wären in Zukunft Arbeiten, die sich als Versuch einer Bernhard-Lektüre deklarierten, künftig möglicherweise aufschlussreicher als jene, die Interpretationen versuchten. Denn: "Es gibt so viele Bernharde, wie es Leser und Leserinnen gibt. Jeder hat seinen eigenen Bernhard!" Privatheit Nach Schmidt-Dengler gab der am Nachlass arbeitende Germanist Martin Huber einen Überblick über jene Stellen in Bernhards Werk, die sich mit den Themen von Arbeitsweise und Nachlass beschäftigen (etwa aus "Kalkwerk" und "Korrektur") und schilderte den bisherigen und den geplanten Umgang mit dem Bernhard-Nachlass: Zunächst hätte Bernhards Halbbruder Peter Fabjan den in verschiedenen Wohnungen und Häusern aufbewahrten Nachlass an einem Ort zusammengetragen und gesichert. Es hätte weder Hinweise auf systematische Vernichtung von Teilen des Nachlasses durch Bernhard noch auf systematisches Sammeln desselben gegeben. Der literarische Teil des Nachlasses werde ab Herbst in einem Thomas-Bernhard-Arbeitsarchiv in Gmunden zugänglich gemacht werden, der private Teil (vor allem seine Korrespondenz mit Hedwig Stavjanicek) würde Teil des Privatarchives der Familie bleiben. Am Donnerstag wird u.a. Mireille Tabah zu Ansätzen einer feminstischen Interpretation sprechen (17.30 Uhr), am Freitag kommen auch Musikwissenschafter und Linguisten zu Wort. (APA)