Iris Kugler

Kindesmissbrauch ist also - endlich und zu Recht - ein medial hoch beachtetes, weil hoch emotionalisiertes Thema, und wir befinden uns in Vorwahlzeiten.

Wie in der ZiB 3 vom 18. August sehr richtig bemerkt wurde, wird der Wahlkampf von Sachthemen dominiert, die auf Grund ihrer Differenziertheit nicht wirklich in der Lage sind, Wählerinnen und Wähler erkennen zu lassen, wo die Guten und wo die Bösen wirklich sind. Und weil es sich mit einer Steuerreform lang nicht so gut polarisieren lässt wie mit etwas, wo jede und jeder intuitiv und instinktiv eine Meinung hat, und weil passenderweise in letzter Zeit etliche Fälle von Kindesmissbrauch bekannt wurden, konnte dem Versuch nicht widerstanden werden, damit politisch zu punkten.

Oder um ein wenig genauer zu werden: Die FPÖ - in Gestalt von Dr. Riess-Passer - fordert strengere Strafen für Kindesmissbrauch und an dieser Stelle auch aus gegebenem Anlass, dass "lebenslang" lebenslang bleiben muss. Eine Forderung, die seit der Strafrechtsreform Brodas als blanker Unsinn gelten darf, weil allein mit Bewusstseinsbildung Fortschritte zu erzielen wären.

Als Rahmen für diese Forderung wurde die ZiB-3-Fernsehdiskussion gewählt und als unfreiwillige Unterstützer dieser Forderung Dr. Jarolim (Justizsprecher der SPÖ), Dr. Ulram (Meinungsforscher) sowie ein überforderter Diskussionsleiter.

Dabei wäre alles so einfach gewesen. Ein pointierter Fernsehbeitrag zuvor zeigte das FPÖ-Plakat zum Kinderbetreuungsscheck, nämlich zirka ein halbes Dutzend ach so süßer nackter Babypopos mit dem überdimensionalen Slogan: "Danke Jörg." Diese eigenartige Aufarbeitung des Themas Kinderbetreuungsscheck wurde sogar im Kommentar erwähnt.

Bei der sicherlich nicht ganz billigen Kommunikations- und Medienberatung, die die SPÖ üblicherweise in Anspruch nimmt, ist es daher nicht wirklich verständlich, weshalb Jarolim das aufgelegte Eigentor der FPÖ nicht realisiert hat.

Es hätte genügt, darauf hinzuweisen, dass jeder erwachsene Mensch, dessen nackte Abbildung zum Transport einer Botschaft verwendet wird, der er nicht zugestimmt hat, sich rechtlich dagegen wehren kann. Oder noch konkreter: Was werden die süßen Kleinen in 15 bis 20 Jahren zu einem Plakat sagen, auf dem ihr nackter Popo zur Unterstützung von Haiders Kinderbetreuungsscheck-Kampagne verwendet wurde? Sollten nicht alle stramme FPÖ-Wählerinnen und -Wähler werden, dann wohl kaum: "Danke, Jörg". Und an dieser Stelle drängt sich nun ein hässliches Wort auf: Missbrauch.

Es lässt sich ja so wunderbar undifferenziert mit diesem Begriff herumspielen. Wer, außer den Juristen (und die wissen es auch meist nicht so genau), definiert denn, was er wirklich bedeutet, wo er beginnt und wo er endet? Orientiert man sich an der Definition für sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, dann fällt all das darunter, was das Opfer selbst als sexuelle Belästigung empfindet.

Nur, was ist, wenn die Opfer einen solch ausdifferenzierten Willen noch gar nicht bilden können bzw. eine solch intellektuelle Verarbeitung des Geschehenen noch gar nicht leisten können - wie es der Fall ist bei zweijährigen Babys? Nun, dann wird es wohl eines besonderen Schutzes für diese Menschengruppe bedürfen.

Und statt argumentativ im Orbit herumzuschwimmen, wäre es an Jarolim gewesen zu fordern, dass mit Kindern unter sieben Jahren nicht mehr geworben werden darf. Freilich müssten wir dann auch auf die süßen Kinderpopos auf den Plakatwänden verzichten.

Andererseits bliebe einer oder einem das mulmige Gefühl erspart, das man hat, wenn Buberln und Mäderln gar zu süß und nackig und vielleicht noch ein bisserl gar zu geschminkt auf uns herunter lächeln. Und jede und jeder, die oder der bei dem Gedanken, dass es fortan keine "kleine Nackerpatzerln" auf Plakatwänden mehr geben soll, recht, recht traurig wird, sollte sich ganz genau fragen, warum er so empfindet.

Wenn eine Gesellschaft Kindesmissbrauchern die Grenzen nicht deutlich zeigt, wenn nicht geächtet wird, dass 12- bis 13-jährige Mädchen als bulimische Dessousmodels lächeln dürfen, wenn nicht geächtet wird, dass Kinder von Eltern für Werbesujets verkauft werden, dann ist jede Empörung über einen weiteren Fall von Kindesmissbrauch nur Ausdruck der gesellschaftlichen Doppelmoral.

Sittenwächterinnen und Sittenwächter, die mit nackten Kindern werben und sich gleichzeitig über Kindesmissbrauch äußern, bedürfen keines weiteren Kommentars.

Mag. Iris Kugler ist Mitarbeiterin verschiedener Frauenberatungsstellen in Wien und Redakteurin der Zeitschrift "Juridikum".