San Francisco/Wien - Beim Wachsen der "Verkabelung" im Gehirn im Rahmen der Embryonal-Entwicklung kratzen die Ausläufer der Nervenzellen (Axone) die richtigen "Kurven", weil sie die genau zwischen anziehenden und abwehrenden Signalen unterscheiden können. US-Experten haben diesen Vorgang aufgeklärt: An der Spitze der wachsenden Axone sitzen Rezeptoren. Und wenn die eintreffenden Signale für Verwirrung sorgen könnte, hält ein Teil von ihnen ihren Gegenspielern sozusagen die Nase zu. "Wenn wir verstehen, wie die Verschaltungs-Muster des Zentralnervernsystems in der Entwicklung von Lebewesen gebildet werden, kann das in einiger Zukunft die Basis für das Entstehen und letzten Endes eventuell auch die Behandlung von Krankheiten des Zentralnervensystems (Gehirn, Rückenmark, Anm.) bedeuten", erklärte Dr. Barry J. Dickson vom Institut für Molekulare Pathologie (IMP) in Wien Ende Dezember vergangenen Jahres, als er und seine Kollegen wichtige Studien auf diesem Gebiet publizierten. Bei der Entwicklung des Gehirns und des Rückenmarks kommt es darauf an, dass die Nervenzellen (Neuronen) ihre Ausläufer (Axone) bilden, die schließlich die unendlich komplizierte Verschaltung bilden. Dazu muss jeder dieser Fortsätze "riechen", wohin er wachsen muss. Schnüffler Dickson und sein Team identifizierten die Rezeptoren "Robo 2" und "Robo 3" an der Spitze solcher Nervenzell-Fortsätze. Sie "schnüffeln" nach abweisenden Signalen des Gens "Slit" von außen und bringen so die Axone zum Abbiegen. Doch die Gegenspieler sind die DCC-Rezeptoren. Sie "riechen" wiederum die anziehenden Signale, zum Beispiel Netrin-Moleküle. An Nervenzellen von Fröschen, bei denen in Experimenten die einzelnen Teilmechanismen inaktiviert wurden, haben nun Dr. Marc Tessier-Lavigne von der Universität von Kalifornien und sein Team das Zusammenspiel dieser Mechanismen im Detail studiert. Die Erkenntnisse - samt einem Kommentar des in Wien tätigen Wissenschafters - werden in der neuesten Ausgabe der US-Wissenschaftszeitschrift "Science" (9. März) veröffentlicht. Überhand Und so läuft die Angelegenheit im Detail ab: Zunächst einmal haben die anziehenden Signale die Überhand. Der Nervenzellfortsatz wächst und wächst auf sein Ziel zu. Dann stößt er, am vorläufigen Endpunkt angekommen, auf abstoßende Signale. Das Axon soll ja zu seinem nächsten Ziel weiter wachsen. Tessier-Lavigne: "Die Regel ist nun, dass das abstoßende Signal die Überhand bekommt, wenn beide Informationen vorliegen. Das anziehende Signal wird einfach abgeschaltet. Dieses 'Gesetz' wurde ganz klar geschaffen, damit ein solches Axon nicht verwirrt wird. Das könnte ja immerhin katastrophale Konsequenzen für den Embryo haben." Jetzt allerdings wissen die Wissenschafter ganz genau, wie die "Robo"-Rezeptoren bei verwirrender Datenlage das Kommando übernehmen: Ein Teil von ihnen deckt doch glatt die Gegenspieler-Rezeptoren physisch ab. Das vorübergehende "Zuhalten der Nasenlöcher" bedeutet, dass die anziehenden Signale nicht mehr wahrgenommen werden, der wachsende Nervenzell-Fortsatz wendet sich seinem nächsten Ziel zu. (APA)