Im europäischen Vergleich sind die Pläne der Regierung mit dem Kinderbetreuungsgeld geradezu frivol. Zusatzausgaben von 16 Milliarden Schilling pro Jahr für ein Familientransfersystem, das schon bisher Weltspitze war, schränken die Möglichkeiten zur Stärkung des Wirtschaftsstandortes Österreich ein, anstatt sie zu vergrößern. Der Finanzminister hat damit erstmals den politischen Grundkonsens verlassen, auf den er und seine Kollegen aus den Euro-Ländern sich eingeschworen haben. Die Staaten der Union wetteifern um nachhaltige Wirtschaftsreformen. Die meisten kämpfen mit drei Hauptproblemen: Die Gesellschaften überaltern rasch. Die Gesundheits-und Pensionssysteme stoßen daher an die Grenzen der Finanzierbarkeit. Mehr und flexiblere Arbeitsplätze sind also notwendig (und immer besser ausgebildete Frauen sind die Hoffnungsträger). Obwohl es den meisten Staaten erfolgreich gelungen ist, die Verschuldung zu bekämpfen, wird die Wirtschaftsdynamik fast überall weiter durch eine träge Bürokratie gehemmt. Und schließlich sind die materiellen Anstrengungen für Forschung/Neue Technologien EU-weit viel zu gering. Für all das strukturelle Verbesserungen zu finden, damit Europa weltweit bestehen kann, sollten die kargen Budgetmittel eingesetzt werden. Österreich steht schlecht da. Es gehört zu den Nachzüglern. Zwar haben die einschlägigen EU-Institutionen (Kommission, Ministerrat) Karl-Heinz Grasser bestätigt, dass er kurzfristig eine "spektakuläre Verbesserung" der Budgetsituation herbeigeführt hat. Aber er wurde umso dringlicher gewarnt, dass dies vor allem Folge von Einmalerlösen, einnahmenseitigen Maßnahmen und einer überhöhten Steuerlast ist. Langfristig dringend erforderlich wären neben starken Ausgabenkürzungen die Strukturreformen im öffentlichen Sektor, Abgaben- und Steuersenkungen, Investitionen in Forschung und Entwicklung. Das alles kostet zunächst viel. Von üppigen Geldgeschenken mit der Gießkanne allein für die Tatsache, dass jemand Kinder hat, egal was sie und/oder er tun, ist in Europa hingegen nirgendwo die Rede. Aber auch die inhaltliche Richtung - eine tendenzielle Entkoppelung der Kindererziehung vom Arbeitsprozess - ist zweifelhaft. Die Union ist gerade dabei, das Gegenteil zur gemeinsamen Strategie zu machen. Denn niedrige Geburtenraten (die "demographische Lücke") lasten schwer auf Europa, weil immer mehr Frauen gut ausgebildet sind und in einer modernen Dienstleistungsgesellschaft zunehmend gebraucht werden. Also sollen Lebens- und Arbeitswelten besser aufeinander abgestimmt werden, was vor allem auf mehr Flexibilität für die Eltern, bessere Betreuungsmöglichkeiten für den Nachwuchs hinausläuft. Genau darum wird es beim nächsten Treffen der Staats-und Regierungschefs in Stockholm (beim "Baby-Gipfel") gehen. Europa braucht mehr Kinder, gleichzeitig aber auch mehr arbeitende Frauen. Denn vor der Alternative - einer verstärkten Zuwanderung aus Drittländern - schrecken die meisten EU-Staaten zurück. Österreichs Sonderweg könnte dazu führen, dass weder arbeitende Mütter gefördert werden, noch der Kindersegen zunimmt (aber auch nicht die von der FPÖ abgelehnte Zuwanderung). Denn wer wird schon so leichtsinnig sein, mehr Kinder in die Welt zu setzen, die vom Staat zwar bis zum dritten Lebensjahr üppig versorgt werden, wenn der Geldfluss dann abrupt abbricht und die Versorgung vielleicht zur Existenzfrage wird? Grasser hat seinen ersten europapolitischen Sündenfall begangen. Er verteilt Familienpakete, bevor er sein Budget nachhaltig saniert hat - noch dazu in konjunkturell unsicheren Zeiten. Das Plakative ist ihm offenbar wichtiger als weniger populäre langfristige Ziele. Seine angekündigte Steuer- und Abgabenentlastung wird 2003 umso geringer ausfallen - mit entsprechend negativen Auswirkungen auf die Position Österreichs. (DER STANDARD, Printausgabe, 9.3.2001)