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Grafik: Archiv
Tallinn - Die Regierung in Estland hat die "Estnische Genbank" gegründet, in der die Erbinformationen aller Bürger gesammelt werden sollen. Der gesetzliche Rahmen für das in seiner Größe weltweit einzigartige Vorhaben steht seit Dezember, nun wird mit dem Aufbau der Infrastruktur begonnen. "Das ist eine Sache, in der wir Esten die Eisbrecher sein können", hofft der Arzt Jaanus Pikani, einer der Initiatoren. Mindestens zwei Drittel der 1,4 Millionen Esten sollen in den nächsten Jahren ihr Blut geben und einen medizinischen Fragebogen ausfüllen. Kombiniert soll beides zu Genen - später: Medikamenten - für Krankheiten wie Krebs oder Diabetes führen. In den Genen einer Gesamtbevölkerung schürfte bisher nur die Firma DeCode in Island, kleinere Projekt laufen in einer Region in Schweden und auf der Südseeinsel Tonga. Diese früheren Projekte gehen davon aus, dass sich krankheitsverursachende Gene am leichtesten in einer genetisch homogenen Bevölkerung finden: Die 260.000 Isländer etwa stammen alle von vor tausend Jahren eingewanderten Wikingern ab und haben sich isoliert fortgepflanzt. Vorteil Heterogenität Allerdings ist dieser "Vorteil" in Zweifel geraten, da man verdächtige Gene eben nicht für die Isländer, sondern für genetisch sehr heterogene Bevölkerungen - vor allem die zahlungskräftigen in den USA und Europa - finden will. In ihrer größeren Heterogenität hätten die Esten einen Vorteil. Aber ihnen fehlt, was Island hat und um was dort noch immer erbittert gestritten wird: In Island kann man die Genealogie jedes Bürgers - und damit erbliche Krankheiten - sehr weit zurückverfolgen. Und in Island gibt es seit langem Gesundheitsdateien aller Bürger, die im Rahmen des DeCode-Projekts zu einer Zentraldatei zusammengelegt werden und - ohne Zustimmung der Betroffenen - mit den Gendaten abgeglichen werden können. Eben deshalb stößt DeCode auf Widerstand unter isländischen Ärzten, die ihren Patienten die Verfügung über ihre Daten vorbehalten wollen. Man hat einen umstrittenen Kompromiss gefunden: Wer seine Daten nicht freigeben will, kann sich aus der Datei hinausreklamieren, 18.000 haben das bisher getan. Obgleich es in Estland nicht einmal diesen Ausweg aus der Datei gibt, gibt es dort keine Proteste. "Die Menschen sind um ihre Gesundheit besorgt", berichtet Hannes Danilov vom zuständigen Gesundheitsministerium: "Sie wollen lieber alles als nichts wissen." Mehr als 90 Prozent der Bevölkerung haben sich in einer Testumfrage zur Teilnahme bereit erklärt. Fehlt nur noch eines, das Geld: Bis zu 511 Millionen Euro/7,04 Milliarden Schilling wird das Projekt kosten. Die Esten hoffen auf internationale Financiers und haben vorsorglich den Export der Daten verboten. Deshalb müssen interessierte Firmen ins Land kommen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10./11. 3. 2001)