Stuttgart - In der Debatte um angeblich gestohlene Kulturgüter hat der Ausgrabungsleiter von Troja, Manfred Korfmann, die zerstrittenen Parteien zu mehr Flexibilität und Vernunft aufgefordert. "Wir sollten nicht auf Rechtspositionen pochen", sagte der Tübinger Wissenschaftler am Donnerstag in Stuttgart. Wenige Tage vor Eröffnung der großen Troja-Ausstellung "Troia - Traum und Wirklichkeit" hatte das türkische Außenministerium erklärt, die Schau sei eine gute Gelegenheit, über die türkische Forderung nach Rückgabe gestohlener Güter zu sprechen. "Für jeden Ausgräber ist es heute Standard, dass das, was er ausgräbt, im Lande bleibt", sagte Korfmann weiter. Wissenschaftler könnten die Welt nicht mehr ändern. "Aber sie können dafür sorgen, dass so etwas nicht wieder passiert", sagte der Prähistoriker in Anspielung auf die unter anderen von dem Deutschen Heinrich Schliemann vor mehr als 100 Jahren ausgegrabenen und in seine Heimat gebrachten Kunstschätze. Wichtig sei es nun, vernünftig miteinander umzugehen. Durch Leihgaben oder Dauerleihgaben könnten viele Streitpunkte umgangen werden. "Troja ist ein Kulturdenkmal der Menschheit, das darf bei diesen Diskussionen nicht vergessen werden", betonte Korfmann. Die Ausstellung "Troia - Traum und Wirklichkeit" wird an diesem Samstag von Bundespräsident Johannes Rau und dem türkischen Staatspräsidenten Ahmet Necdet Sezer eröffnet. Die Schau wird sie im Laufe des Jahres noch in Braunschweig und Bonn zu sehen sein. Der türkische Generalkonsul Funda Tezok kündigte unterdessen an, die Schau könnte nach ihrer Wanderung durch deutsche Museen auch in der Türkei gezeigt werden. "Ziel ist es, die Ausstellung möglichst der ganzen Weltöffentlichkeit zu öffnen", sagte Tezok. Es sei "ausdrücklicher Wunsch" seiner Regierung, dass die Schau "in dieser Form auch in der Türkei" stattfinde. Die Große Schau Der Mythos Troja hat die Menschen immer wieder aufs Neue beschäftigt. Einen Einblick in die versunkene Welt der antiken Ruinenstadt in Kleinasien gibt eine bisher einzigartige Ausstellung mit dem Titel "Troja - Traum und Wirklichkeit", die ab kommendem Samstag (17. März) bis 17. Juni in Stuttgart im Forum der Landesbank Baden-Württemberg gezeigt wird. Bei der 4,2 Millionen Mark teuren Schau sind zum ersten Mal auch Fundstücke zu sehen, die bisher nur in der Türkei präsentiert wurden. Der griechische Dichter Homer hatte Troja und den Trojanischen Krieg in seinem um 730 vor Christus entstandenen weltberühmten Epos "Ilias" unsterblich gemacht. Von 1870 bis 1890 hatte dann der deutsche Amateur-Archäologe Heinrich Schliemann die untergegangene Stadt an der kleinasiatischen Westküste aufgespürt und die Troja-Forschung begründet. Schliemann hatte 1873 einen sagenhaften Goldfund ausgegraben, den er als "Schatz des Priamos" heimlich an den türkischen Behörden vorbei außer Landes schaffte. In den Kriegswirren 1945 war dieser Schatz in Berlin verloren gegangen. Erst im Herbst 1994 tauchte das Troja-Gold in Moskau wieder auf, nachdem die Sowjetunion seine Existenz jahrzehntelang geheim gehalten hatte. Von einer Rückführung nach Berlin, wie sie von Deutschland angestrebt wird, ist man trotz fruchtbarer deutsch-russischer Konsultationen zum Thema Beutekunst allerdings noch weit entfernt. Bronzezeitliche Handelsdrehscheibe Grundlage für Reichtum und Macht war Trojas Rolle als Drehscheibe des Handels während der Bronzezeit. Schliemann und seine Nachfolger hatten von 1871 bis 1938 lediglich die Burg von Troja freigelegt. Die erst in jüngerer Zeit entdeckte Unterstadt mit Tausenden von Einwohnern lag südlich und westlich der Akropolis, die Schliemann fand, und war - das ist der entscheidende Punkt - befestigt wie ein gigantisches Bollwerk mit Toranlagen, Verteidigungsgraben und eigenem Mauerring. Die Geschichte Trojas musste nach dieser Entdeckung neu geschrieben werden. Keineswegs handelte es sich um eine kleine Burganlage, sondern um eine grandiose vorderasiatische Residenz und ein bedeutendes Staatsgebilde, das bis in die entferntesten Winkel Handel trieb. In zwölf Bildern, mit rund 800 Objekten und auf 1 500 Quadratmetern Ausstellungsfläche begegnen dem Besucher der Ausstellung nicht nur die schöne Helena, der rasende Achill, der listenreiche Odysseus und der blinde Dichter Homer, auch an der antiken Stätte gefundene Waffen und Gefäße, Tafelgeschirr und Schmuck werden geboten. Ein eigener Audio-Führer mit Geschichtswissen, Geräuschcollagen, altgriechischen Versen und Opernausschnitten soll Troja zudem zu einem "Fall für die Sinne" werden lassen. Als Einstieg wird man mit Filmsequenzen und Toncollagen in die Landschaft um Troja eingestimmt, weiter wird der Besucher bei dem Rundgang unter anderem in das Werk Homers eingeführt. So sind Handschriften, antike Büsten und die Anfangsverse des Epos "Ilias" in mehreren Sprachen zu sehen beziehungsweise zu hören und zu lesen. Außerdem kann man über Monitore den derzeitigen Grabungsleiter auf einem Gang durch die Ausgrabungen begleiten. Deutlich wird in der Stuttgarter Schau auch, wie stark Troja die Fantasie heutiger Menschen und insbesondere von Künstlern beschäftigt hat. Ausgestellt sind unter anderen Teile des "Laokoon- Zyklus" des Malers Horst Janssen, Ausgaben der "Kassandra"- Erzählung von Christa Wolf und Bühnenbilder zu der Oper "Les Troyens" von Hector Berlioz. Neue Bücher "Troia - Traum und Wirklichkeit" ist der Titel des im Konrad Theiss Verlag (Stuttgart) erschienenen Begleitbandes zur Ausstellung. Vielfältige Texte vermitteln ein facettenreiches Bild von dem dreitausendjährigen Mythos der einstigen Stadt im Nordwesten Kleinasiens und von den seit 130 Jahren an dieser Stätte geleisteten Forschungsarbeit. Es wird ergänzt durch fast 500 farbige Fotos, Karten, Modelle und Rekonstruktionen. Darstellungen auf antiken Kunstwerken der Vasenmalerei und Plastik lassen die Welt der Helden und Götter des Mythos Troja lebendig werden. Mittelalterliche Handschriften, neuzeitliche Gemälde, grafische Blätter und Objekte des Kunsthandwerks belegen die Aktualität des Themas bis hin zur Vermarktung in Karikatur und Werbung unserer Zeit. Der Einführungspreis des 496 Seiten umfassenden Bandes beträgt bis zum 31. März 2002 504 Schilling, danach 599 S. (ISBN 3-8062-1543-X) Schon 1998 erschien im gleichen Verlag der weiterhin erhältliche Band "Troia. Ein historischer Überblick und Rundgang" (76 S., mit hundert meist farbigen Abb. und einem Übersichtsplan, 218 Schilling, ISBN 3-8062-1-369-0). Verfasser sind der Leiter der gegenwärtigen Troja- Ausgrabungen, der Tübinger Manfred Korfmann, und sein Mitarbeiter bei diesem Unternehmen, Prof. Dietrich Mannsperger. Der erste Teil gilt dem Thema "Homer, die Ilias und die Folgen", im zweiten Teil unternehmen Korfmann und Tübinger Studierende der Ur- und frühzeitlichen Archäologie einen Rundgang durch die Forschungsstätte. "Rüya und der Traum von Troia" ist der Titel eines im Roseni Verlag (Hamm) erschienenen Buchs von Christoph Haußner und Matthias Raidt (88 S., 115 farbige Abb., 210 Schilling, ISBN 3-9807434-0-3) Im Ausgrabungscamp erleben zwei Jugendliche eine geheimnisvolle Zeitreise durch die verschiedenen Epochen des antiken Troja - eine Abenteuergeschichte vor dem Hintergrund der neuesten archäologischen Erkenntnisse. Ein umfangreicher Sachteil ergänzt die Geschichte. Manfred Korfmann steuerte ein Vorwort bei. Mit dem Thema Troja befasst sich auch ein ausführlicher, reich illustrierter Beitrag mit dem dem Titel "Vom Mythos zur Wirklichkeit" in der neuesten Ausgabe der im Konrad Theiss Verlag erscheinenden Zeitschrift "Archäologie in Deutschland". Dargestellt werden vor allem die Forschungsarbeiten auf dem von den Türken Hisarlik genannten einstigen Burghügel - von Heinrich Schliemann im 19. Jahrhundert bis in die Gegenwart und die dabei gewonnenen Erkenntnisse. (APA)