Er hat schon seinen Reiz, ein Spaziergang über den Wiener Heldenplatz. Einen verführerischen Reiz. Von den Kulissen der Hofburg und der Ringstraßenbauten bedrängt, kann man sich schwer des Gefühls erwehren, das Zentrum eines irgendwie noch immer präsenten Imperiums abzuschreiten. Wie muss es da erst jenen ergehen, die sich von Berufs wegen täglich in diesem Ambiente bewegen, vom Bundespräsidenten über Kanzler und Außenministerin bis zu den Beamten? Der Ort färbt auf das Bewusstsein ab. Daher ist es zumindest verständlich, wenn in den langen Gängen beiderseits des Ballhausplatzes ein gewisses Sentiment überdauert hat. Das Gefühl eben, noch immer Mittelpunkt dessen zu sein, was einmal die Monarchie war. Nach dem EU-Beitritt Österreichs und den folgenden Aufnahmegesuchen der Nachbarländer schien dieses seit 1918 heimatlose Gefühl einer neuen Bestimmung entgegenzufiebern: der Erwartung, dass die ehemaligen Kronländer nun am Ballhausplatz untertänigst um Assistenz für ihre EU-Ambitionen vorstellig würden. Sicher nicht alle Versäumnisse der österreichischen Außenpolitik vis-à-vis den Nachbarländern erklären sich daraus, das atmosphärische Umfeld begünstigt sie aber. Und wenn Außenministerin Benita Ferrero-Waldner heute, Montag, ihr Grundsatzpapier vorstellt, das einer "strategischen Partnerschaft" mit den mittelosteuropäischen EU-Kandidaten Vorrang einräumt, dann ist dies der Versuch, Versäumnisse nachzuholen, für die sie selbst nur zu einem geringen Teil verantwortlich ist. Das meiste wurde - allen vollmundigen Ankündigungen einer österreichischen Advokatenfunktion für die Beitrittswerber zum Trotz - schon früher verpasst. Die Sanktionen der EU-14 kosteten dann weitere wertvolle Zeit. Und die zustimmende, zwiespältige oder zumindest neutrale Haltung der meisten Kandidatenländer zum Sanktionsbeschluss war auch Folge einer von Wien bestenfalls halbherzig betriebenen Nachbarschaftspolitik. Einer Nachbarschaftspolitik, in der etwa die Parteizugehörigkeit des jeweiligen Regierungschefs eine größere Rolle spielte - und teils noch immer spielt - als ein strategisches Konzept in wechselseitigem Interesse. Nur ein Beispiel, freilich das drastischste: Wenn österreichische Kinder offiziell schulfrei bekommen, um Grenzübergänge zu einem Nachbarland blockieren zu können (wie in der Auseinandersetzung um das südböhmische Atomkraftwerk Temelín geschehen), dann sind hier politische Fehler passiert, die auch mit der Sorge um die Sicherheit der Bevölkerung nicht zu entschuldigen sind und die sich noch lange rächen werden. Inzwischen hat man erfahren, dass Freundschaft auch innerhalb der EU keine politische Kategorie ist und dass man Interessen dann am wirksamsten verfolgt, wenn sie sich mit denen anderer Länder zumindest teilweise decken. In diesem Sinn wirkliche strategische Partner unter den ostmitteleuropäischen Beitrittswerbern zu gewinnen, wird nicht leicht sein. Denn die bisherige Kluft zwischen rhetorischer Unterstützung und (innen- wie außenpolitisch) faktischer Untätigkeit hat Misstrauen erzeugt. Politische Grundsatzerklärungen sind eine Sache. Sie mit Leben zu erfüllen, ist eine andere. Echte Partnerschaft muss langfristig, also abseits von Tages- und Parteipolitik angelegt werden. Sie bedeutet vor allem den Aufbau eines dichten Netzwerks von Beziehungen unterhalb der offiziellen Ebene, in allen Bereichen der jeweiligen Gesellschaften: in Kultur, Bildung, Infrastruktur, Wirtschaft. Daraus ergibt sich von selbst, dass jede bevormundende Attitüde zu vermeiden ist. Dass kleine Länder darauf besonders empfindlich reagieren, müsste man gerade in Österreich nach den Erfahrungen des vergangenen Jahres wissen. Der Heldenplatz mag eine verlockende Kulisse liefern. Für Aufführungen im europäischen Ensemble ist er definitiv ungeeignet. (DER STANDARD, Printausgabe, 12.3.2001)