Erinnern wir uns an den ersten VW-Bus. Tatsächlich war die Idee ganz einfach: eine Bodenplatte des Käfer herzunehmen und
ein Kistl draufzusetzen und damit auf Basis gleicher Bauteile ein Vielfaches an Transportvolumen zu erhalten. Allerdings war
der Traum schnell aus: Die Käfer-Bodenplatte hätte das nie ausgehalten. Darum hatte schon der erste VW-Bus/Transporter
eine selbsttragende Karosserie und folglich mit dem Käfer nicht viel gemeinsam außer der Heckmotoranordnung.
Es ist also nicht so, dass Ingenieure nicht wüssten, dass es billiger und damit gewinnträchtiger ist, möglichst viele gleiche
Bauteile zu verwenden. Es geht aber oft nicht. Und das gilt schon seit Henry Fords erstem Fließband.
Vor zwanzig Jahren gab's die erste wirklich breite europaweite Plattformstrategie bei Personenwagen, sogar über mehrere
bestenfalls geringfügig verbandelte Hersteller hinweg. Es war im Gedankenansatz bis in viele Details hinein das Gleiche, das
wir heute bei VW Golf/Audi A3/Skoda Octavia/Seat Toledo sehen.
Verschiedene Autos, die in wesentlichen Bauteilen gleich waren und letztlich in ähnlichen Größen und unterschiedlichen
Marktsegmenten auftraten. Wussten Sie also, dass Fiat Croma, Lancia Thema, Renault 25 und Saab 9000 auch auf einer
gemeinsamen Plattform basierten? Und noch etwas: Dass es da einen Motor gab, der sogar Euromotor genannt wurde und
auch noch bei Volvo auftauchte? Zugegeben, eine V6-Maschine von geringem Charme, aber großer Verbreitung.
Stichwort Plattform. Eine Käfer-Bodenplatte kann man sich ja ganz gut als Plattform vorstellen. In Wirklichkeit ist jede
Vorstellung von einer Plattform nur Illusion. Und wenn vom Übergang der Plattformstrategie zur Modulbauweise gesprochen
wird, dann ist das auch nur Symbolik.
Alte Idee . . .
Die Wirklichkeit dahinter ist, dass es über die Jahrzehnte eine kontinuierliche Entwicklung der Gleichteile-Strategien der
Hersteller gibt. Es geht nicht darum, dass möglichst alle Golfs identisch sind und alle Toledos und Oktavias auch noch. Das
würde nie funktionieren. Das 75-PS-Einsteigermodell müsste dann gleiche Bremsen haben wie eines mit 204 PS.
Der Ansatz ist anderswo: Ein Auto besteht nur zu einem geringen Prozentsatz aus sichtbaren Teilen und atmosphärischen
Details. Das meiste sind Kabel, Rohre, Träger, Muffen, Flansche, Schrauben, Klammern und so weiter. Diese Teile geschickt
auf dem Weltmarkt zusammenzuorganisieren, darin liegt das Geheimnis. Und diese Taktik wird längst quer durch alle Marken
angewendet. Autoindustrie und Zulieferer haben da längst eigene Begriffe dafür definiert: "Systeme" sind integrierte
Funktionseinheiten, wie zum Beispiel eine Lenkung, die vom Lenkrad übers komplette Lenkgestänge bis zur
Servounterstützung alles enthält, sodass sie so gut wie unabhängig vom Fahrzeug funktionieren könnte. Warum sollte in
einem Luxusauto Maybach, in einem Mercedes und in einem großen Mitsubishi nicht das gleiche Ding eingebaut sein?
. . . fortgeschrieben
"Module" zum Beispiel: Dazu gehören etwa ein Achsdifferenzial oder ein Dreieckslenker samt Lagerbolzen am Fahrgestell.
Diese Dinge müssen lebenslänglich funktionieren, und dann ist es völlig egal, ob sie in einem Fiat oder einem BMW stecken.
Systemmodule: Komplette Radaufhängungsteile wie etwa Querlenker, Achsschenkel, Bremsanlage, Federbeine können als
Ganzes auch von einem Zulieferer entwickelt und hergestellt worden sein. Haben Sie schon einmal gefragt, ob das Dingsda
an Ihrem Mercedes wirklich von Mercedes stammt oder vielleicht von ZF, die womöglich auch das Getriebe liefern? Teile, die
wir wiederum in einem BMW entdecken können.
Die Gleichteile-Strategie zieht sich längst quer durch die Autowelt. Allerdings: Solange ein Jaguar ein Ford-Ziffernblatt im
Tacho hat, gibt's noch viel zu verbessern.
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9. 3. 2001)