Zum ersten Mal in der Geschichte der Islamischen Republik Iran legte ein Präsident kurz vor Ende seiner Regierungszeit dem Parlament einen Rechenschaftsbericht vor. Diejenigen Iraner in und außerhalb des Parlaments, die erwarteten, dass Mohammed Khatami, der 1997 mit mehr als 70 Prozent der Stimmen gewählt worden war, am Sonntag offiziell seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen im Juni bekannt geben würde, wurden jedoch enttäuscht. Zwar deutete er an, dass er weitermachen werde, wenn das Volk es so wolle, das war aber auch schon alles. Khatami verteidigte vor den Volksvertretern seinen Reformkurs der letzten drei Jahre: Es gebe dazu keine Alternative. Deutliche Kritik übte der Präsident am Vorgehen der Justiz gegen die Medien, er bezeichnete sich selbst als "traurig" darüber, dass so viele Zeitungen geschlossen wurden, betonte jedoch seine Unfähigkeit, in die Agenden einer unabhängigen Justiz einzugreifen. In seiner ironischen Art merkte Khatami noch an, dass viele gemeint hätten, dass wenn er, Khatami, Präsident des Iran werde, dies das Ende der Islamischen Republik bedeute - es sei aber halb so schlimm gekommen. "Soll es aufgeben" Khatami hatte in letzter Zeit wiederholt öffentlich eingestanden, bei der Durchführung seiner Reformvorhaben letztlich gescheitert zu sein. "Wenn er wirklich der Auffassung ist, dass er nicht regieren kann, soll er es lieber aufgeben", meint dazu einer seiner politischen Gegner, der Chef der konservativen Moetalefi-Partei. "Er will, bevor er nochmals seine Kandidatur bekannt gibt, die Reaktion der Masse testen", schrieb die liberale Zeitung Hajate Nou in einem Kommentar vor der Khatami-Rede: "Am 11. März muss Khatami vor dem Parlament deutlich seine Argumente für eine neue Kandidatur darlegen oder seine Verzichtsabsichten und die Gründe, die ihn dazu bewegten, unmissverständlich dem Volk erklären." "Die Zeit des Seiltanzes muss endlich ein Ende haben", meint auch die konservative Zeitung Resalat und rät dem Präsidenten, sich von den linken Kräften zu trennen. "Die Konservativen wollen Khatami für sich gewinnen, damit werden sie auf der einen Seite die Reformen verhindern und ihn auf der anderen Seite bei der Masse degradieren", meint die liberale Zeitung Hambasteghi. Indes rückt die Justiz dem innersten Kreis Khatamis immer näher. Zuletzt wurde Vizeinnenminister Mostafa Tadjzadeh vor Gericht gestellt und zu einem Jahr Haft verurteilt: wegen Wahlfälschung, obwohl nach Auffassung der breiten Mehrheit die Parlamentswahlen im Februar 2000 die korrektesten in der Geschichte des Iran waren. Bei diesen Wahlen verloren die Konservativen bekanntlich ihre absolute Mehrheit im Parlament. "Die Konservativen gieren nach Rache wegen gleich mehrerer verlorener Wahlen, und Tadjzadeh muss dafür büßen", meint die Zeitung Aftab trocken und warnt vor Studentenreaktionen. Tadjzadeh ist wegen seiner Parteinahme für die Studenten bei den größten Studentenunruhen in der Geschichte der Islamischen Republik im Sommer 2000 zu einem Idol der jungen Leute aufgestiegen. Er bezeichnete damals die Schlägertruppen, die die Studenten verprügelten, als Faschisten. Falls seine Verurteilung vom Höchstgericht bestätigt wird, könnten dem Iran unruhige Zeiten ins Haus stehen. Wie erst jetzt bekannt wurde, soll auch Innenminister Ansari Lari beim Sondergericht der Geistlichkeit vorgeladen worden sein. (DER STANDARD, Printausgabe, 12.3.2001)