Zwischen allen Fronten liegt für Edward Said die Heimat der Intellektuellen. Als er im Vorjahr an der Grenze des Libanon einen Stein in die Richtung der israelischen Grenzposten warf (und dabei fotografiert wurde), geschah dies aus einer sicheren Distanz, die es ihm erlaubte, seine Tat als "symbolische Geste der Freude" angesichts des Abzugs der israelischen Besatzer zu rechtfertigen. Das ist eine bemerkenswert blauäugige und für Said typisch ambivalente Entschuldigung angesichts der in einem hohen Maß symbolisch bestimmten Konflikte im Nahen Osten. Said sieht sich als einen Menschen "out of place", als Heimatlosen zwischen Jerusalem, in dessen Ostteil er 1935 als Sohn einer arabischen Palästinenserfamilie geboren wurde, und den USA, wohin er 1947 emigrierte und wo er später eine glänzende intellektuelle Karriere als Literaturwissenschafter gemacht hat. Sein Hauptwerk prägte gleich einen Begriff: Orientalismus (1978) fasste alle Bilder vom Orient, die der Westen in Jahrhunderten angesammelt hat, zusammen und stellte sie unter Kritik. Im Zweifelsfall geht Moral vor Theorie Saids Laufbahn wäre nicht denkbar ohne den Siegeszug der Postmoderne an den Universitäten, und wenn auch in seinen Schriften im Zweifelsfall die Moral wichtiger ist als die Theorie, so bilden seine Diskursanalysen doch einen unverzichtbaren Teil der postkolonialen Erfahrung. Mit der Autorität eines Lehrenden an der berühmten Columbia-Universität und mit exzellenten Verbindungen zu den palästinensischen Eliten wurde Said aber auch immer wieder politisch aktiv. Er trug seit Ende der 70er-Jahre maßgeblich dazu bei, die Palästinenser an den Verhandlungstisch zu bringen. Umso schroffer musste seine Abkehr von Yassir Arafat in den 90ern wirken, als er die PLO als "Vichy-Regierung" kritisierte. Männlichkeitsbeweis als zweites Motiv für den Steinwurf Die Verwaltung in den autonomen Gebieten konterte damit, dass seine Bücher im Gazastreifen aus den Läden entfernt wurden. Seine scharfe Kritik auch an Israel hinderte ihn wiederum nicht, jene arabischen Intellektuellen anzuklagen, die sich hinter den französischen Holocaust-Leugner Roger Garaudy gestellt hatten. Die 90er-Jahre brachten für Said einen persönlichen Schock: Er wurde "durch irgendeine teuflische Ironie mit einer tückischen, unversöhnlichen Leukämie geschlagen", auf die er mit der Niederschrift seiner Autobiografie Am falschen Ort reagierte. Man muss dieses Buch zu den großen Konfessionen der Weltliteratur zählen. Für seinen Steinwurf im Libanon hat Said übrigens noch ein zweites Motiv genannt: Er wollte sich seinem Sohn gegenüber als Mann erweisen. Diese Begründung hätte wohl auch Sigmund Freud zu würdigen gewusst, über den in Wien zu sprechen Said von der Freud-Gesellschaft eingeladen war - bis er wieder zwischen alle Fronten geriet. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13. 3. 2001)