Berlin - Auch nach der Garantie-Übernahme deutscher Konzerne für den Wirtschaftsanteil der Stiftung zur Entschädigung ehemaliger NS-Zwangsarbeiter ist der Beginn der Auszahlung an die Opfer weiter offen. Auch ein Spitzentreffen in Berlin brachte keine Klärung. Bundeskanzler Gerhard Schröder und die Gründungs-Firmen der Stiftungs-Initiative plädierten am Mittwochabend in Berlin für eine rasche Herstellung von Rechtssicherheit für deutsche Firmen. Konkret wurde aber nur die Einrichtung einer Arbeitsgruppe vereinbart. Die Frage des Rechtsschutzes deutscher Firmen gegen mögliche weitere Schadenersatz-Klagen ehemaliger Zwangsarbeiter rückte am Mittwoch in Deutschland ins Zentrum der Diskussion. Der Sprecher der Stiftungs-Initiative, Wolfgang Gibowski, beharrte darauf, dass vor Auszahlung der Entschädigungen alle Klagen vor US-Gerichten erledigt sein müssten. Im Vorfeld hatte nur eine offene Entschädigungsklage gegen deutsche Banken als Stolperstein gegolten. Die Niederschlagung aller Klagen ist die Voraussetzung für die von der Wirtschaft verlangte Rechtssicherheit gegen weitere Forderungen. Erst wenn der Deutsche Bundestag diese Rechtssicherheit erklärt, können die Fonds-Gelder ausgezahlt werden. Die noch lebenden eine Million NS-Zwangsarbeiter sollen 5.000 (2.556 Euro/35.178 S) bis 15.000 Mark erhalten. Unter anderem wegen der zunächst noch fehlenden 1,4 Milliarden Mark aus der Wirtschaft verweigerte eine US-Richterin in der vergangenen Woche die Abweisung der Sammelklagen gegen Banken. Die Richterin hatte aber signalisiert, dass die Klagen abgewiesen werden könnten, wenn das Geld für den Entschädigungsfonds vorhanden ist. Daraufhin hatten die Gründungsfirmen des Fonds am Dienstag eine Garantie für die komplette Bereitstellung des Wirtschaftsanteils von fünf Milliarden Mark übernommen. Zuvor hatte der Geldfluss aus deutschen Unternehmen bei 3,6 Milliarden Mark stagniert. Die Entscheidung, ob der Rechtsschutz gegeben ist, liegt nach dem deutschen Stiftungsgesetz allein beim Bundestag. SPD und CDU warnten am Mittwoch vor überzogenen Erwartungen. Der Regierungsbeauftragte Otto Graf Lambsdorff, rechnet nicht vor Sommer mit ersten Zahlungen. Der Grünen-Abgeordnete Volker Beck sagte, wenn eine Auszahlung vor der Sommerpause nicht möglich sei, müsse über eine Änderung des Stiftungs-Gesetzes nachgedacht werden. Es sei aber erst sinnvoll nach dem Besuch des Bundeskanzlers in den USA Ende des Monats, über eine Abkoppelung der Entschädigung vom Rechtsschutz zu sprechen. Schröder hatte bereits am Dienstag erklärt, eine hundertprozentige Rechtssicherheit werde es wohl nie geben. Dies müsse aber die Auszahlung der Entschädigung nicht verhindern. Das American Jewish Committee erklärte, die deutsche Wirtschaft habe "ein Niveau von Rechtssicherheit gefordert, das es einfach so nicht gibt". Der deutsche Opfer-Anwalt Michael Witti erklärte, die Wirtschaft müsse von ihrer Rechtsschutz-Position abrücken. Der Bundesverband Information und Beratung für NS-Verfolgte nannte es "Quatsch", wenn die deutsche Wirtschaft vor Zahlungsbeginn die Abweisung weiterer Einzelklagen in den USA abwarten wolle. Jeder ehemalige Zwangsarbeiter müsse ohnehin eine Erklärung abgeben, dass er mit der Entschädigung auf weitere Forderungen verzichte. Der Jüdische Weltkongress in New York appellierte an Deutschland, jetzt sofort mit der Auszahlung zu beginnen. Der Vorsitzende der Stiftung "Deutsch-polnische Aussöhnung", Bartosz Jalowiecki, warnte vor allzu großem Optimismus, dass die knapp 500 000 in Polen lebenden früheren Zwangsarbeiter nun bald mit einer vollen Entschädigung rechnen können. Die polnische Stiftung hatte wegen der Verzögerungen am Montag mit Abschlagszahlungen für die ältesten Opfer begonnen. Im Rahmen des vom Deutschen Bundestag im Juli vergangenen Jahres beschlossenen Entschädigungsgesetzes verpflichten sich der deutsche Staat und die Wirtschaft zur Zahlung von je fünf Milliarden Mark. (APA/dpa)