International
Deutschland: Hoffnung auf eine schnelle Auszahlung schwindet
Zahlungen an ehemalige NS-Zwangsarbeiter kaum vor Sommer
Berlin - Zwei Tage nach der Garantie-Übernahme deutscher Konzerne für die von der Wirtschaft versprochenen fünf
Milliarden Mark (2,56 Mrd. Euro/35,2 Mrd. S) zur Entschädigung ehemaliger NS-Zwangsarbeiter ist die Hoffnung auf eine schnelle Auszahlung
der Gelder zerstoben. Der deutsche Regierungs-Sonderbeauftragte Otto Graf Lambsdorff sagte am Donnerstag in einer Parlaments-Debatte, die
Entschädigung könne sich wegen der ungeklärten Rechtssicherheit der Wirtschaft gegen künftige Schadenersatz-Klagen noch viele Monate,
vermutlich bis zum Sommer, verzögern.
Er könne nicht sagen, wann er dem Parlament vorschlagen werde, die im Entschädigungs-Gesetz verlangte Rechtssicherheit festzustellen. Er
glaube kaum, dass dies noch vor der Sommerpause der Fall sein werde, sagte Lambsdorff unter Hinweis auf die Rechtslage in den USA. Dort
sind derzeit noch eine Sammelklage und mehrere Einzelklagen offen. Nach der Garantie-Übernahme der Stiftungs-Gründer war die Frage der
Rechtssicherheit erneut zum Streitpunkt geworden. Lambsdorff bezeichnete das Beharren der Industrie auf diesem Punkt als richtig.
Lambsdorff kritisierte die Entscheidung einer US-Richterin gegen die Abweisung einer Klage gegen deutsche Firmen scharf. Die New Yorker
Richterin Shirley Wohl Kram habe "mit einem rechtlich fehlerhaften Beschluss" die Auszahlung an die Opfer um mehrere Wochen verzögert,
sagte Lambsdorff am Donnerstag im Bundestag. Kram habe die Klage anders als andere Richter nicht mit der Auflage abgewiesen, dass die
Opfer sie wieder aufnehmen könnten, wenn das deutsche Entschädigungsverfahren nicht funktioniere. Sie habe die Abweisung auch wegen
Fragen verweigert, die mit dem deutschen Verfahren nichts zu tun hätten.
Dagegen forderte der frühere SPD-Parteichef Hans-Jochen Vogel am Donnerstag ein Ende des Tauziehens um die Rechtssicherheit und eine
schnellstmögliche Zahlung der Gelder. Ein Warten auf die Abweisung weiterer Klagen sei falsch. Volle Rechtssicherheit gebe es nie. Das
"kleinliche Gezerre wie bei einem beliebigen wirtschaftlichen Vorgang" überlagere immer mehr die Geste der Mitmenschlichkeit, sagte Vogel. Er
warnte vor einem Umschlag der Freude und Hoffnung bei den ehemaligen Zwangsarbeitern in Enttäuschung und Verzweiflung.
Nach Auffassung des Verbandes der NS-Verfolgten läuft der Entschädigungs-Fonds wegen des Beharrens auf Rechtssicherheit Gefahr, zu
einer "Geister-Stiftung" zu werden. Geschäftsführer Lothar Evers sagte, die Wirtschaft habe die Stiftung "gekapert und für die eigenen
Bedürfnisse nach 'Sicherheit vor NS-Zwangsarbeitern' umfunktioniert".
Das Entschädigungs-Gesetz verlangt den Schutz der Wirtschaft vor Zahlungen außerhalb des Fonds. Nach dem Stiftungs-Gesetz muss der
Deutsche Bundestag diese Rechtssicherheit erklären, damit die insgesamt zehn Milliarden Mark Fonds-Gelder ausgezahlt werden können. Die
noch lebenden eine Million NS-Zwangsarbeiter sollen jeweils 5.000 bis 15.000 Mark (2.556 Euro/35.178 S bis 7.669 Euro/105.533 S) erhalten. (APA/dpa/Reuters)