Großbritanniens Premierminister Tony Blair setzt auf Privatinitiative, und sein Land ist damit recht erfolgreich. Doch die Tierseuchen, die sich von britischen Höfen aus verbreiteten, bringen die Insel international ins Zwielicht. Tief griff Charles am Donnerstag ins prinzliche Portemonnaie. Der britische Thronfolger mochte nicht länger untätig mit ansehen, wie seine landwirtschaftenden Untertanen unter der Maul- und Klauenseuche leiden. Die Regierung Blair indes fasste die Notschlachtung Zehntausender "unschuldiger" Schafe ins Auge. Die Krise hält das Vereinigte Königreich weiter in ihrem Bann - und ein Ende ist nicht abzusehen. Desinfektionsmatten und brennende Kuhkadaver auf nächtlichen Scheiterhaufen: Was ist aus Premierminister Tony Blairs "Cool Britannia", was aus Labours Hoffnungen auf einen Neuanfang geworden? Ein skeptischer Blick auf das Land jenseits des Ärmelkanals würde leicht zu deprimierenden Schlussfolgerungen führen. Nicht nur die Maul- und Klauenseuche, die nun über den Kanal herübergekrochen kommt, rückt die Insel erneut in den Ruf eines ewigen Katastrophenquells. Auch die Bilder verrottender Schienenstränge, verunglückter Züge, verstopfter Straßen, überfüllter Krankenhäuser, maroder Schulen und kriselnder Gefängnisse tragen wenig zum "großen Vorbild" bei, das Großbritannien doch hat werden sollen. Eher mitleidig haben die europäischen Nachbarn verfolgt, wie die Briten im zurückliegenden Herbst und Winter auch noch von wochenlangen Überschwemmungen und orkanartigen Stürmen heimgesucht wurden. Von Mitleid in Ressentiment droht nun aber mit der sich rasch ausbreitenden Klauenseuche die internationale Reaktion auf Britanniens Elend umzuschlagen. Mag auch der Ursprung dieser Seuche nicht unmittelbar englischen Farmern zuzuschreiben sein - das Tempo ihrer Verbreitung und die Unfähigkeit der Regierung, sie unter Kontrolle zu bringen, werden so kurz nach der BSE-Katastrophe durchaus "den Briten" angelastet. Vom "perfiden Albion" hört man schon französische Bauern fluchen, während irische Minister, denen die Knie vor Ansteckungsangst schlottern, ihren Kollegen in London vorwerfen, nicht genug gegen die Seuche unternommen zu haben: Britannien sei "der Leprakranke Europas". Mit einer Entschuldigung wandte sich Landwirtschaftsminister Nick Brown in dieser Woche an Frankreich und andere potenziell bedrohte Länder. Unsicher wie bei der Bekämpfung der Seuche selbst zeigt sich derweil die Londoner Regierung in ihrer Analyse der Krise und der generellen Krisenanfälligkeit eines in diesem Frühjahr nicht mehr allzu "coolen" Britannien. Zum einen räumt durchaus auch der Regierungschef ein, dass die britische Landwirtschaft auf eine "neue Basis" gestellt werden müsse. Andererseits fällt es New Labour schwer, einen politischen Rahmen für eine solche Reform vorzugeben. Wie in seiner übrigen Wirtschaftspolitik will Blair auch auf dem Lande den Wirtschaftenden am liebsten selbst die Initiative überlassen. Ob sie organisch oder genetisch-modifiziert produzieren, ob sie Tiere frei laufen oder in Massenquartieren züchten wollen, ob sie sich und die Konsumenten ihrer Produkte ausreichend gegen drohende Gefahren schützen, betrachtet New Labour nicht primär als Regierungsangelegenheit. Private Initiative soll, in der Agrarpolitik wie in anderen Bereichen, Probleme lösen, Entwicklungen vorantreiben. So komplex die Maul- und Klauenkrise tatsächlich ist, so begrenzt sieht die Londoner Regierung ihre Rolle im Krisenmanagement - ein Reflex, der Blairs starken Glauben ans Big Business illustriert und seine Abneigung gegen öffentliche Einflussnahme. Doch wegen der Seuche muss der Labour-Premier nun ausgerechnet zu einer Zeit, in der die Insel wirtschaftliche Triumphe feiert und die Opposition keine echte Gefahr für ihn ist, daran denken, die für den 3. Mai vorgesehenen Wahlen zu verschieben. Ein erstes menschliches Opfer hat die Seuche unterdessen offenbar bereits gefordert. Ein walisischer Bauer erhängte sich auf seiner Farm, weil er mit der anhaltenden Isolation auf seinem Hof nicht mehr fertig wurde. "Die Leute sind so verzweifelt, dass sie in Gefahr stehen, Selbstmord zu begehen", sagt auch Prinz Charles. (Peter Nonnenmacher, DER STANDARD, Print- Ausgabe 16. März 2001)