Wien - Für seine Verdienste um die Aufdeckung des Massenmordes an behinderten Menschen im oberösterreichischen Schloss Hartheim unter der Herrschaft des Nationalsozialismus wird der frühere US-Oberstleutnant Charles Haywood Dameron mit dem Österreichischen Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst geehrt. Die Überreichung der Auszeichnung erfolgt am kommenden Mittwoch im National-D-Day-Museum von New Orleans. Dameron stellte 1945 mit der so genannten "Hartheimer Statistik" das Schlüsseldokument über das Euthanasie-Programm der Nazis sicher. In dem bei Linz in Oberösterreich gelegenen Schloss Hartheim wurden von den Nationalsozialisten zwischen 1940 und 1944 rund 30.000 Menschen ermordet, die von den Machthabern als "lebensunwert" eingestuft worden waren. Die Opfer waren körperlich und geistig behinderte sowie psychisch kranke Menschen, die im Rahmen der so genannten "Euthanasie-Aktion" (T4) ermordet wurden. Beim Vorrücken der Alliierten versuchten die Nazis auch auf Hartheim alle Spuren ihres Verbrechens zu verwischen. Erst die so genannte "Hartheimer Statistik" brachte den Nachweis für das gesamte System der Morde an behinderten und kranken Menschen unter dem NS-Regime. Kalte Daten Das Dokument enthält statistische Aufzeichnungen über die Verbrechen im Rahmen der Aktion T4 - der Euthanasie an behinderten und kranken Menschen - im gesamten Gebiet des Dritten Reichs. Darüber hinaus konnte mit Hilfe der Unterlagen der Nachweis für den personellen Zusammenhang zwischen der "Euthanasie-Aktion" und dem Holocaust in den Vernichtungslagern des Ostens erbracht werden. So begannen die beiden Österreicher Franz Stangl und Christian Wirth ihre "Karriere" als Massenmörder in Hartheim. Stangl wurde schließlich Kommandant des Konzentrationslagers Treblinka, Wirth wütete als Leiter des Konzentrationslagers Belzec. Die Euthanasie-Aktion war nach den Worten von Simon Wiesenthal "die Mörderschule für die Vernichtung der europäischen Juden". Dameron wurde während des Zweiten Weltkriegs als kommandierender Offizier einem Untersuchungsteam für Kriegsverbrechen zugeteilt und mit der Prüfung der Ereignisse in Österreich beauftragt. Sein Bericht vom 17. Juli 1945 gilt für Historiker bis heute als erstes authentisches Dokument über die Ermordung behinderter Menschen (T4) und von kranken bzw. nicht mehr arbeitsfähigen Häftlingen in Konzentrationslagern (14f13) unter der Nazi-Diktatur. Seine akribische Arbeit legte erst den Grundstein für die Erforschung der unfassbaren Verbrechen dieser Zeit. Führende Historiker wie der Zeitgeschichtler Bertram Perz sehen in Damerons Arbeit den "Schlüssel zur wissenschaftlichen Erforschung der Euthanasie im Dritten Reich". Werdegang Damerons Der 1914 in Louisiana geborene Dameron schloss 1938 ein Jusstudium ab und arbeitete bis zu seiner Einberufung in die Armee 1940 als Rechtsanwalt. In der 3. US-Army unter General George Patton übernahm er gegen Kriegsende das "War-Crimes-Investigating-Team-No. 6824", dessen Hauptarbeitsgebiet Österreich war. 1946 schied er aus der Armee aus und war bis zu seiner Pensionierung 1990 als Rechtsanwalt tätig. Dameron lebt in Port Allen in seinem Heimatstaat Louisiana im Süden der USA. Schloss Hartheim ist seit 1948 wieder ein Betreuungsheim für Behinderte. 1969 wurde eine Gedenkstätte für die Euthanasie-Opfer eingerichtet. Seit 1998 besteht das Projekt "Gedenkbuch Hartheim", mit dem die Namen der Toten erfasst werden sollen. Im Jahr 2003 veranstaltet das Land Oberösterreich eine Ausstellung über die Verbrechen in Hartheim unter der Nazi-Herrschaft. Um das Gedenken an die Opfer und die Aufarbeitung dieser schrecklichen Vergangenheit nimmt sich der Verein Schloss Hartheim an. Schloss Hartheim: "Mörderschule" für den Holocaust Unweit der oberösterreichischen Landeshauptstadt Linz liegt das Schloss Hartheim. Rund 30.000 Menschen wurden hier zwischen 1940 und 1944 ermordet und vergast. "Es stank ekelerregend nach verbranntem Fleisch", erinnert sich ein Augenzeuge. Doch nichts geschah. In Schloss Hartheim befand sich seit 1898 eine Betreuungsanstalt für Behinderte. Nach der Eingliederung Österreichs in das Dritte Reich wurde das Schloss ab 1939 zu einer Euthanasie-Anstalt umgebaut. Zur Vernichtung von angeblich "lebensunwerten" Menschen wurden eine Gaskammer und Verbrennungsöfen errichtet. Die Ermordung geistig und körperlicher behinderter sowie psychische kranker Menschen im Rahmen der so genannten Euthanasie-Aktion (T4) begann in Nazi-Deutschland im Jänner 1940. Sie wurde im August 1941 nach öffentlichen Protesten von kirchlicher Seite eingestellt. 70.273 Menschen fielen dem Vernichtungsprogramm zum Opfer. Erster Massenmord an Behinderten In Hartheim kam es im Mai 1940 zum ersten Massenmord an Behinderten. Die Opfer wurden auf Grundlage ärztlicher Gutachten nach "Brauchbarkeit" und "Arbeitsfähigkeit" selektiert. Sie wurden mit dem Zug nach Linz und von dort in Autobussen nach Hartheim transportiert. Nach Ausziehen, Identitätsfeststellung, Registrierung von Goldzähnen und Fotografieren wurden die Opfer in eine als Duschraum getarnte Gaskammer geführt. Durch die vermeintlichen Wasserhähne wurde Kohlenmonoxid geleitet, die Menschen starben einen qualvollen Tod durch Ersticken. Auch nach der Einstellung der Aktion T4 setzten die Nazis in Hartheim ihr Morden fort. Bis Ende 1944 wurden etwa 8.000 kranke bzw. nicht mehr arbeitsfähige Häftlinge der nahen Konzentrationslagers Dachau und Mauthausen (Aktion 14f13) ermordet und vergast. Außerdem wurden mehrere hundert Zwangsarbeiter umgebracht. Im Sommer 1943 wurde Hartheim durch die Verlegung von Dienststellen aus Berlin weiter aufgewertet. Insgesamt wurden auf dem Schloss rund 30.000 Menschen ermordet. Im Winter 1944/45 begannen umfangreiche Umbauarbeiten in Hartheim, um alle Spuren des Verbrechens zu beseitigen. Die 1938 vertriebenen Barmherzigen Schwestern durften zurückkehren und die Betreuung behinderter Kinder übernehmen. Erst die von US-Oberstleutnant Charles Haywood Dameron entdeckte und ausgewertete so genannte "Hartheimer Statistik" enthüllte der Nachwelt das ganze Ausmaß des in Hartheim und den fünf anderen Euthanasie-Einrichtungen des Dritten Reichs begangenen Verbrechens. "Den Hahn aufzudrehen war keine große Sache" In beispiellosem Zynismus wurden in der Statistik die "Leistungen" der Tötungsanstalten und die Ersparnis an Geld und Lebensmittel durch die Ermordung der Behinderten aufgelistet. Aus dem Material geht hervor, dass 70.273 Behinderte im Deutschen Reich der Aktion T4 von Jänner 1940 bis August 1941 zum Opfer fielen. Als Ersparnis wurden auf die angenommene Lebensdauer der Opfer 885.439.800 Reichsmark errechnet. (Eine Reichsmark entspricht etwa 50 Schilling.) Die ärztliche Leitung von Hartheim führte der Linzer Arzt Rudolf Lonauer. Sein Stellvertreter war der Straßburger Arzt Georg Renno. Von den etwa 70 in dem Schloss beschäftigen Menschen wurde der Heizer Vinzenz Nohel nach dem Krieg zum Tode verurteilt und hingerichtet. Lonauer beging im Mai 1945 Selbstmord. Renno entzog sich der Justiz und starb 1997 im Alter von 90 Jahren. Seinen Lebensabend verbrachte er unbehelligt auf einem Renaissanceschloss in unmittelbarer Nähe von Hartheim. Bis zu seinem Lebensende blieb er völlig uneinsichtig. In einer Vernehmung zu seiner Tätigkeit in Hartheim sagte er einmal: "Den Hahn aufzudrehen war keine große Sache." (APA)