Forschung & Geschlecht
Extremsituation Geburt
Klagenfurt/Wien - Immer wieder kommt es zu Tragödien nach der Geburt eines Kindes: Doch wenn Mütter unmittelbar nach der Entbindung ihrem Baby Leid antun, befinden sie sich immer einer absoluten Extremsituation. In allen zivilisierten Ländern der Erde nimmt deshalb das Strafrecht auf solche Umstände Rücksicht.
"Eine Schwangerschaft kann zu einer Ausnahmesituation werden. Das ist leider gar nicht so selten. Es kann zu einer extremen Überforderung von Schwangeren, besonders von jungen Schwangeren kommen, bei der die Betroffene überhaupt nicht mehr weiß, wie sie damit zu Rande kommt. Solche Fälle sind früher häufiger gewesen, es gibt sie aber nach wie vor", erklärte der Leiter des Instituts für Psychosoziale Forschung, der Psychiater und Psychoanalyatiker Dr. Stephan Rudas Ende März vergangenen Jahres, als es zu einer Tragödie in Wien-Währing gekommen war. Damals hatte eine 16-Jährige ihr Neugeborenes aus einem Fenster geworfen.
Die "Tötung eine Kindes bei der Geburt" ist als eine solche Reaktion auf eine Ausnahmesituation auch "verwandt" mit Tragödien, die sich im Rahmen von Stillpsychosen abspielen können. Rudas: "Das ist ähnlich."
Risikofaktoren
Die Situationsmuster, in denen sich solche Taten abspielen, sind typisch. Der Psychiater zu den Risikofaktoren: "Da ist das völlige Alleinsein der Schwangeren und eine vom Partner unbegleitete Schwangerschaft. Uneheliche Schwangerschaften hat es immer in großer Zahl gegeben. Seit sie aber nicht mehr so stark 'geächtet' sind, geht die Häufigkeit dieser Tragödien zurück." Auch die Fristenlösung hat zweifellos eine Auswirkung gehabt.
Nach derartigen Tragödien stellt sich immer die Frage, wie denn eine Schwanger in eine solche für sie aussichtslos erscheinende Lage kommen konnte. Rudas: "Man muss jede erdenkliche Hilfe für Frauen anbieten. Schließlich muss man ungewollte und vom Partner nicht begleitete Schwangerschaften (in der Gesellschaft, Anm.) annehmen. Vorwürfe und 'Schande' sollte es nicht geben. Man muss dafür sorgen, dass Sexualität und die Folgen der Sexualität nicht negativ behaftet sind."
Rücksicht
Weil die Lage einer Mutter mit ihrem Neugeborenen so singulär und im traurigen Fall so außergewöhnlich ist, nimmt das Strafrecht aller zivilisierten Länder Rücksicht. Der Psychiater: "Auch der Gesetzgeber geht davon aus, dass die Betroffene im Augenblick der Geburt oder unmittelbar danach nicht Herr ihrer Sinne sein kann." Deshalb gibt es im österreichischen Strafgesetzbuch beispielsweise den Paragraphen 79: "Tötung eines Kindes bei der Geburt". Der Strafrahmen liegt bei einem bis fünf Jahren - für die Mutter. (APA)