Kosovo
Wer schießt, gewinnt - von Norbert Mappes- Niediek
Der Westen hat mit seinem Verhalten Extremisten zur Gewalt herausgefordert
Auf dem Balkan droht wieder Krieg - diesmal in Mazedonien. Das kleine Land hat den Ausbruch eines Krieges bisher als einzige
der sechs Republiken des früheren Jugoslawien vermieden und gerade in den letzten beiden Jahren viel für die Integration der
starken albanischen Minderheit getan.
Anders als im Kosovo ist hier in den Neunzigerjahren alles besser geworden. Der gewaltsame Konflikt wurde vielmehr vom Kosovo
importiert, wo die extremistischen Freischärler ihre Basis haben. Erst jetzt, immerhin vier Jahre nach den ersten U¸CK-Anschlägen
im Lande, findet der gewollte Krieg nach und nach sein Futter in der historischen Ungleichheit von Mazedoniern und Albanern und
den Vorurteilen, die beide Völker gegeneinander pflegen.
Dass es so weit kommen konnte, geht vielmehr zu einem guten Teil auf das Konto der internationalen Gemeinschaft. Es ist ein
trauriger Witz, dass die USA und Deutschland, zwei hochgerüstete Militärmächte, nicht in der Lage sind, die wenigen Karrenwege
und Trampelpfade im Gebirge zwischen dem Kosovo und Mazedonien wirksam zu kontrollieren. Man patrouilliert ein wenig an der
Grenze, und wenn es dunkel wird, muss man rasch nach Hause - es könnte ja gefährlich werden. Kein Wunder, dass auf dem
Balkan nun Verschwörungstheorien grassieren, nach denen der Westen den Konflikt sogar gewollt habe. Die andere mögliche
Erklärung, dass nämlich die Verantwortlichen unfähig und desinteressiert waren, klingt schließlich noch unwahrscheinlicher.
Die Schuld trifft auch alle anderen Mächte der Balkan-Kontaktgruppe. Sie waren zu feige, nach dem Einmarsch in den Kosovo im
Juni 1999 gleich harte Regeln einzuführen und die bewaffneten Banden unnachgiebig zu verfolgen. Die "Entmilitarisierung" der
Kosovo-Befreiungsarmee U¸CK war ein Hohn, an den umfänglichen Waffenlagern wurde einfach vorbeigesehen. Statt als Eroberer
aufzutreten, fühlten sich die westlichen Truppen und die zivilen Verwalter lieber als "Befreier" und müssen nun den Preis für die
sentimentale Fehleinschätzung zahlen. Was sich hier rächt, ist das verkitschte Bild des Kosovo-Konflikts als Kampf zwischen
dem Guten und dem Bösen, das man meinte erzeugen zu müssen, damit die Öffentlichkeit die Luftschläge gegen Jugoslawien
mittrug. Für hartes Auftreten im Kosovo ist es jetzt zu spät, denn sofort würden die Verwalter in blutige Konflikte mit den Banden
geraten. Die Mission müsste abgebrochen werden, und alles würde noch schlimmer.
Die albanischen Extremisten mag man verabscheuen, aber es wird wenig helfen, denn sie sind beinahe eine Naturerscheinung wie
Blitz und Hagelschlag. Was sie tun, erscheint ihnen nur logisch. Kein Mensch hat sich für den Kosovo interessiert, als die
Menschen sich dort über Jahre gewaltfrei engagiert haben. Erst als geschossen wurde, mischte die Welt sich ein, und die
Terroristen von damals sind die Stars von heute - eine Aufforderung geradezu, sich immer mehr zu holen. Jetzt erheben alle wieder
ihre "mahnende Stimme". Der Subtext lautet: Hört nicht auf uns! Wer schießt, gewinnt!
Der beginnende Krieg in Mazedonien ist der erste in der Region, an der kein Milosevic mehr schuld ist. Nichts wäre falscher, aber
nichts ist leider auch wahrscheinlicher, als dass die westliche Öffentlichkeit sich für diesen neuen Krieg nun einen neuen Schurken
sucht. Nach Lage der Dinge werden "die Albaner" die Rolle übernehmen müssen. Die albanische Gesellschaft ist noch nicht
entwickelt. Man kennt einander nicht, weiß nur, dass man Albaner ist. Das führt dazu, dass nur jemand einen national getönten
Konflikt beginnen muss, um alle hinter sich zu scharen. Wenn die albanischen Politiker den Extremisten entgegentreten, was sie
gerade in Mazedonien energisch getan haben, erreichen sie nur, dass ihr Einfluss schwindet.
Alle, sogar die Albaner, haben ihr Möglichstes getan, den Krieg in Mazedonien zu vermeiden. Versagt hat die Nato. (DerStandard, Print-Ausgabe, 17./18.3.2001)