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Musik
Utopiens Hymne
Alison Goldfrapp wird uns sonntags im Flex Schauer über den Rücken jagen
Als Laibach Ende der 80er nach den gewohnten Fanfarenklängen und Marschtrommeln plötzlich einen Frauenchor "Across the Universe" von den Beatles jubilieren ließen und ihre Cover-Ästhetik von Hakenkreuzen und Männermuskeln auf eine Bergidylle mit wedelnder Skifahrerin umschwenkte - da wunderten wir uns.
Den selben Brückenschlag sehen wir nun jedoch bei Goldfrapp, und langsam denken wir uns: da muss was dran sein. Goldfrapp machen enorm visuelle Musik - und das Bild, das sie heraufbeschwören, ist ein überästhetisiertes bis hin zum ... Totalitären.
Nicht dass wir uns falsch verstehen: das hat nichts mit der politischen Ausrichtung der Band zu tun, ganz im Gegenteil. Es ergibt sich vielmehr aus der Summe der verwendeten Stilelemente, aus der Ästhetisierung der Sängerin und Namenspatronin Alison Goldfrapp im 30er-Jahre-Look, aus der blitzsauberen Berglandschaft, die auf dem Cover von "Felt Mountain" (wieder) auftaucht, aus befremdlichen Text-Passagen und natürlich den musikalischen Zitaten . Ob sie nun "direkt" der bösen alten Zeit des Zwischenkriegs-Jazz entnommen sind oder die Auseinandersetzung mit Fascho-Ästhetik aus späteren Jahrzehnten zitieren (in "Utopia" etwa tauchen eindeutig Kraftwerk-artige Synthie-Folgen auf) - immer erinnern sie daran, dass Schönheit auch etwas Kaltes hat.
Die stets ins Spiel gebrachte Anlehnung an Ennio Morricone-Sounds passt da ganz hervorragend ins Bild: dieselben ätherischen Klänge - Gepfeife, säuselnde Frauenstimmen, schmachtende Geigen und Cembalos - untermalten in Morricone-Filmen oft Szenen extremer Gewalt, und irgendwie lässt sich diese Assoziation auch bei Goldfrapp nicht abschütteln.
Goldfrapp mit ihrer Schwärmerei für den seltsamen alten Kontinent werden zu einer Reise durch eine Klanglandschaft zwischen Kraftwerk, Ennio Morricone und Billie Holiday. Zeitgenössische Bands, mit denen sie Gemeinsamkeiten haben, sind - wie so oft ins Spiel gebracht - Portishead, mehr noch aber Broadcast und Mono, also Bands, die im Spektrum von Pop bis TripHop näher an den Pop gerückt sind. Skurriles Detail: sie covern Olivia Newton-Johns Romper-Stomper-Hit "Physical", in halber Geschwindigkeit allerdings und jeder Spritzigkeit entledigt.
Gerne wären Goldfrapp mit Orchester und revueartiger Begleit-Show auf Tournee gegangen - doch reichte es nur für eine fünfköpfige Band. Wir werden sehen, wie sie mit dieser Minimal-Besetzung ihre epischen Soundlandschaften entfalten können - und lassen uns gerne gruseln. (red)