1970: War da etwas, und was kam der österreichischen Sozialdemokratie seither abhanden? In "Normale Zeiten" befragt Elisabeth Scharang dazu Menschen und Laufbilder.
Von Claus Philipp
Wien - Die Witze darüber, wie langsam Bruno Kreisky sprechen konnte, sind Legion. Trotzdem ist es wie ein Schock, wenn Elisabeth Scharang zu Beginn ihres dokumentarischen Essayfilms Normale Zeiten eine alte SPÖ-Belangsendung über städtische Infoscreens der Jetztzeit ausstrahlt. Kreisky, der spätere Wahlsieger von 1970, vertraut, so wie er da von seinen Strategen inszeniert wurde, noch auf Argumentationen und schmucklose Präsenz. Gleichzeitig scheint die erschreckend schnelle Alterung von Bild und Ton wie ein materialisierter Kommentar zu einer Sozialdemokratie, deren Selbstbewusstsein die SPÖ heute immer noch gerne, aber etwas mühsam herbeizitiert. Und wenn dann ein altes Musikvideo mit Waterloo und Robinson gegen "Duelle" zwischen VP-Bundeskanzler Josef Klaus und Kreisky montiert wird, beschwört Elisabeth Scharang erst recht Bilder einer substanziellen Gebrechlichkeit: "Good old Hollywood is dying" - die Homemovies der heimischen Innenpolitik und (auch: als) Popkultur ergeben mitunter Trashkino. Der Ausgangspunkt von Normale Zeiten ist eine sehr spezielle private Konstellation. Der Schriftsteller Michael Scharang, der Vater der Filmemacherin, hatte 1972 für den WDR ein dokumentarisches Hörspiel unter dem Titel Das Glück ist ein Vogerl gestaltet. Sechs Arbeiter und Arbeiterinnen befragte er darin über ihre (Über-)Lebensbedingungen - mit dem Anspruch, aus dem Erzählen möge eine klareres Bewusstsein entstehen. Wenn seine Tochter nun wieder auf dieses Material zurückgreift, dann tut sie das mit dem etwas unsicheren Gestus einer Suchenden, die sich ein politisches Vokabular erst aneignen muss - sowohl im Sinne autobiografischer Auseinandersetzung als auch vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Irritationen im Lande. Am stärksten ist Scharangs Film denn auch, wenn er historische Aufzeichnungen in zeitgenössischem Umfeld neu zum Schwingen bringt: Siehe Kreisky auf dem Infoscreen. Seventies-Kult Gleichzeitig verharrt Normale Zeiten etwas zu inständig auf der Rührung der Befragten darüber, wie vital viele der damaligen Statements heute noch klingen. Das führt dann oft zu einem resignativen Unterton, manchmal auch zu Nostalgie, in jedem Fall aber zu sehr viel Plauderei. Und da rutscht die ganze Montage dann ein bisschen gar hart an den Rand zum politisch unreflektierten Seventies-Kult von Wickie, Slime und Paiper. Es genügt eben nicht, Geschichte und Geschichtchen zu kompilieren wie bei einem originelleren Dia-Heimvortrag. Man muss die gefundenen und gesammelten Bilder und Texte auch präzise lesen: In dieser Hinsicht hätte Elisabeth Scharang sich einiges von der Praxis heimischer Found-Footage-Filmemacher abschauen sollen. Gustav Deutsch etwa hat, auch in No Comment - Minimundus Austria , gezeigt, dass man dem beliebigen Wust von TV- und Wochenschaubildern mit formaler Striktheit der Überarbeitung begegnen muss. Der Effekt, der daraus entsteht - Aufklärung -, hat wenig zu tun mit den Unterhaltungseffekten von Normale Zeiten. Dennoch: Als "Impuls" für künftige notwendige Repolitisierungs-Diskussionen ist der Film durchaus brauchbar. Es kommt jetzt nur darauf an, wie ihn zum Beispiel der ORF demnächst in seinem Programm platziert: Eine durchaus heikle Frage, wenn man liest, wie unüblich pikiert die heimische Jugendfilmkommission darauf reagierte: "Der von der Filmemacherin eingenommene politische Standpunkt repräsentiert allerdings wohl nicht den Mainstream politischer Befindlichkeiten in Österreich, sondern ist weit links in KPÖ-Nähe angesiedelt." So eine Frechheit! Und das, obwohl "der Film kräftig von der öffentlichen Hand subventioniert wurde". Dennoch: "Keine Bedenken vom Standpunkt des Jugendschutzes aus!"
(DER STANDARD, Print-Ausgabe, 9. 3. 2001)