Warum läuft ein Kopist Amok? In Michael Kreihsls jüngstem Spielfilm generiert ein Alltag samt bornierter Mitmenschen und zunehmend verunsichernder Lebensstrukturen eine Tragikomödie, die bei aller Härte der Verhältnisse immer noch eine gewisse Leichtigkeit bewahrt. Wien - Kann es sein, dass das wunschlose Unglück und die Depression in und über Österreich wirklich größer ist als anderswo? Man will es kaum glauben. Aber es ist schon erstaunlich, wie wenig selbstironisches Potenzial - im Gegensatz zu anderen Ländern - viele fiktive schwache österreichische Helden haben: Hierzulande hält man es ja gerne mit Michael Haneke, murmelt mit blauen Lippen etwas von "emotionaler Vergletscherung" und geht bestenfalls hilflos, aber gemütlich in den kabarettistischen Kleinkunst-Keller lachen. Ein bisschen Angst kam im vergangenen Jahr also immer wieder auf, wenn man dem Regisseur und Drehbuchautor Michael Kreihsl begegnete und von ihm in etwa mit folgender Kurzfassung der Handlung seines neuen Spielfilms Heimkehr der Jäger konfrontiert wurde: Ein Kopist niederländischer Meisterwerke im Kunsthistorischen Museum leidet unter der Trennung von seinem Kind, der zunehmend unmenschlichen und wenig kunstsinnigen Umwelt, der Kälte der Werbeplakate - und dreht also, weil man offenbar anders nicht reagieren kann, durch. Dies klang nun ein bisschen sehr nach Der siebente Kontinent II - This Time It's Very Very Cold. Und eigentlich war es nur schwer mit Kreihsls letztem Wurf Charms' Zwischenfälle zu assoziieren: Zwar kommunizierten auch dort die beengten Verhältnisse eines Künstlers mit einer katastrophalen Außenwelt. Aber, um mit Thomas Bernhard zu reden: "Alles ist lächerlich, wenn man an den Tod denkt." Und, frei nicht nur nach Bernhard oder eben Daniil Charms: Wenn die Welt da draußen lächerlich und brutal ist - bitte, dann sind wir es erst recht. Man darf von einem großen Glück reden, dass Michael Kreihsl diesen Grundsatz auch bei Heimkehr der Jäger doch weiterhin beherzigt hat. Und erst recht beglückt die Tatsache, dass er mit Ulrich Tukur einen Hauptdarsteller fand, der souverän auf dem Grat zwischen lächerlichem Realismus und fantastischer Farce balanciert. So wie sich das Drehbuch kaum Alltagsjargon erlaubt und dennoch die Kamera auch Alltäglichkeiten ungekünstelt wahrzunehmen vermag, ist Tukur entrückte Kunstfigur und plausibler Charakterkopf zugleich: Am besten in absurden Sequenzen, die hart an den Rand zur Haneke-Parodie gehen. Verzweifelt tobt er da über einen Autobus-Chauffeur, der vor dem Haus den Motor konsequent auf Standgas laufen lässt. Und sein körperlich nachvollziehbarer Schmerz über die Invasion von Supermärkten gipfelt in einem grimmig-perfektionistischen Akt künstlerischer (Re-)Produktion: Eine Frucht auf einem historischen Ölgemälde "verschönert" der Kopist mit einem getreulich abgemalten Werbekleber jener Art, die heutzutage in diversen Obst-und Gemüseregalen die Waren zieren. Akribisch wie dieser Mikro-Widerständler agiert letztlich auch Kreihsls Inszenierung bzw. Bildkomposition. An seinem Film, über dessen kulturpessimistische Anklänge natürlich immer noch vortrefflich zu streiten wäre, sieht man: Formale Sicherheit führt auch zu inhaltlicher Bereicherung. Heimkehr der Jäger ragt in diesem Sinne nicht zuletzt auch visuell und akustisch weit über das Gros der heimischen Produktionen hinaus. Sicher, manchmal nerven dann Handlungsstränge wie eine Romanze des Kopisten mit einer Supermarktverkäuferin - erst recht, weil Julia Filimonov gegenüber Tukur und dem Rest eines großartigen Ensembles (Nikolaus Paryla, Johannes Silberschneider, Johann Adam Oest u. a.) eigentümlich farblos wirkt. Dennoch: nachdrückliche Empfehlung! Und darüber, ob der heimischen Realität nicht doch noch etwas andere, weder vergletscherte noch kabarettistische Aspekte abzuringen wären, wird man in weiterer Folge wohl noch öfter disputieren müssen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17. 11. 2000)