Die Pariser Parteien, Medien und Umfrageinstitute machten die Rechnung wieder einmal ohne den Wirt. Die 40 Millionen französischen Wähler sorgten bei den Kommunalwahlen für einige Überraschungen. Sie scherten sich einen Kehricht um die hypermediatisierte Bürgermeisterwahl von Paris. Sie verpassten den MinisterInnen, die aus den Pariser Regierungskabinetten mit Fernsehkameras im Schlepptau zur Eroberung der Provinzstädte aufgebrochen waren, mehr als nur einen Denkzettel. Politstars der Rechtsopposition, die mit einem politischen "Fallschirm" direkt in einem ihnen unbekannten Rathaus landen wollten, schnitten schlecht ab.

Umgekehrt erzielten Politiker, die in die Mühlen der Justiz geraten waren und zum Teil hohe Haftstrafen davontrugen, höchst erstaunliche Resultate. Noch bevor die Wahlresultate fertig ausgezählt waren, steht fest: "Wer immer die Gunst der Apparate, der Medien oder von Paris hat, wird mit scheelem Blick beäugt", schreibt der linke Nouvel Observateur. "Die Kommunalwahlen, das ist das Aufbegehren des Bürgers gegen die Mächte, das ist die Ruhmesstunde der schimpfenden, gegen Paris gerichteten, anspruchslosen Politik."

Der Philosoph Bernard-Henri Lévy hält dieses "Misstrauen gegen alles, was mit Paris und dem ,Parisianismus' zu tun hat", für "beunruhigend". Dahinter stecke "ein Sieg des Kirchturmgeistes", wie ein engstirniger Lokalpatriotismus in Frankreich bezeichnet wird, meint BHL.

Der Fernsehkommentator Pierre-Luc Séguillon kann dem störrischen Wählerverhalten mehr abgewinnen: Die Wähler hätten klar gemacht, dass sie keine Bürgermeister wünschten, die drei Tage in der Woche im fernen Paris politisierten, sei es als Minister, Abgeordnete oder Spitzenfunktionäre.

Die Stimmberechtigten setzen die in Paris viel beschworene, aber kaum realisierte Dezentralisierung letztlich in die Tat um. Und sie zeigen, dass die in Frankreich grassierende Ämterkumulation wohl bloß dem Machthunger der Politiker entspricht - nicht aber allgemeinem Interesse, wie die zahlreichen "députés-maires" (Abgeordnete und Bürgermeister) behaupten. Die Wähler geben damit auch Premier Lionel Jospin Recht, der die Ämterkumulation seiner Minister untersagen wollte, dabei aber auf enorme Widerstände stieß und die Übung abbrechen musste. Noch eine Überraschung ist von den Kommunalwahlen zu vermelden: Es hieß, Jacques Chirac müsse eine herbe Niederlage einstecken, wenn Paris an die Linke falle. Doch siehe da, Sorgen macht sich vielmehr sein mutmaßlicher Herausforderer bei den Präsidentschaftswahlen 2002, der Sozialist Jospin. Ihm hatten alle eine "rosa Welle" bei den Gemeindewahlen vorausgesagt. Abgesehen von Paris war aber davon kaum etwas zu spüren.

Chirac soll hingegen laut den Elysée-Insidern in Hochstimmung sein. Der Gaullist rechnet es schon als Sieg, dass der politische Stimmungstest nicht zu Ungunsten der Rechten ausgefallen ist. (DER STANDARD Print-Ausgabe, 19.3.2001)