Wie heißt der genau? Dies war die am häufigsten gestellte Frage, als Frank Bsirske vergangenen November völlig überraschend zum Chef der damals zweitgrößten deutschen Gewerkschaft Öffentlicher Dienst, Transporte und Verkehr (ÖTV) gewählt wurde. Bsirske war nicht einmal Delegierter und musste nach dem Rücktritt des bisherigen Vorsitzenden Herbert Mai erst zum Gewerkschaftskongress beordert werden. Über Niedersachsen hinaus, wo Bsirske von 1991 bis 1997 die Funktion eines stellvertretenden ÖTV-Bezirkschefs innehatte, war der Mann mit dem schwer aussprechbaren Namen selbst in Gewerkschaftskreisen praktisch unbekannt. Aus dem "No Name aus der Provinz" wird nun der Chef der größten Gewerkschaft der Welt, "Verdi", die Anfang dieser Woche in Berlin nach der Verschmelzung von fünf Einzelgewerkschaften aus der Taufe gehoben wird. Dabei entspricht Bsirske überhaupt nicht dem Anforderungsprofil, das traditionell an einen Gewerkschaftsboss gestellt wird: Der 49-Jährige ist kein Sozialdemokrat, sondern seit 1987 aktives Mitglied der Grünen, die er auch im Stadtrat von Hannover vertrat. Er hat sich nicht als Facharbeiter vom Betriebsrat immer höher in der Gewerkschaftshierarchie hinaufgearbeitet, sondern Politologie studiert und sich erst mit Mitte 30 in der Gewerkschaft engagiert. Vor zwei Jahren wechselte der Schnurrbartträger sogar die Seiten und ging ins Arbeitgeberlager: Als Personaldezernent der Stadtverwaltung Hannover wurde er für 16.000 Beschäftigte zuständig. Dass rund 1000 Mitarbeiter abgebaut wurden, hat er mitgetragen. Um die Leistungsfähigkeit zu erhalten, habe es keine Alternative gegeben, so seine pragmatische Erklärung. Obwohl ihm der traditionelle Stallgeruch fehlt, votierten nach einer fulminanten Rede 95 Prozent für Bsirske als neuen ÖTV-Chef. In den Monaten seit seiner Kür ist ihm gelungen, woran sein Vorgänger Mai gescheitert ist: die nötige Zustimmung von 80 Prozent für die Selbstauflösung der ÖTV und die Fusion zur Mammutgewerkschaft Verdi zu bekommen. Am Wochenende votierten sogar 87,1 Prozent dafür. Auch diesmal hat Bsirske mit einer sehr emotionalen Rede die Delegierten überzeugt. Reden, Schreiben und Telefonieren sind Unterdisziplinen von Bsirskes Lieblingsbeschäftigung: kommunizieren. Sein Erfolgsrezept ist, alle verbal zu umarmen. Dabei schreckt er vor Tabubrüchen nicht zurück: In Hannover setzte sich der verheiratete, kinderlose Bsirske dafür ein, dass Kindergärten nach den Wünschen der Eltern öffneten. Verdi sieht er als Servicegewerkschaft für die Mitglieder, die nicht mehr alten Dogmen anhängen dürfe, "sondern sich den Gegebenheiten der neuen Zeit anpassen" müsse. (Alexandra Föderl-Schmid, Der Standard, Printausgabe, 19.03.2001)