Während in ganz Europa Bauern um die Gesundheit ihrer Tiere bangen, stehen im ORF noch ein paar fett gewordene "heilige Kühe", die friedlich und unbehelligt von der Frage, ob es nicht vielleicht sein könnte, dass auch sie nicht mehr ganz gesund sind, ihr Futter wiederkäuen. Hinterfragt man diesen scheinbar glückseligen Zustand, wird im ORF hektisch und voller Emotionen argumentiert: "Was, die ,ZiB 1' in einem Kanal in Gebärdensprache senden? Das geht nicht! Warum? Na darum! Das war schon immer so. Das können wir den Zuschauern nicht zumuten ...!" Die zwei von der Bundesregierung in Punktationen vorgestellten Gesetzesentwürfe zur Rundfunkreform könnten den "heiligen Kühen" durch eine Gesundheitskur jetzt zum medial hochgepriesenen "leichteren Leben" verhelfen. "Für Gehörlose", so führte der Bundeskanzler aus, "soll es im ORF-Programm ein besseres Angebot an Untertiteln und Gebärdensprache geben." Nach Algerien, Australien, Belgien, Dänemark, Deutschland, England, Irland, Lettland, der Schweiz, der Slowakei, Tschechien ... (in alphabetischer Reihenfolge), die schon seit Jahren eigene Magazine oder Nachrichtensendungen in Gebärdensprache senden, müsste dann auch der ORF einer langjährigen Forderung gehörloser Menschen nachkommen. Wie sehr das ORF-Fernsehen in dieser Beziehung einen öffentlich-rechtlichen Auftrag hat, zeigte sich zuletzt bei der Seilbahnkatastrophe in Kaprun. Unter den Opfern waren auch Gehörlose. Deren Angehörige, ebenfalls gehörlos, schalteten - das einzige für sie zugängliche aktuelle Medium - den Fernseher ein. Verstehen konnten sie freilich nichts, da der ORF weder Untertitel noch Gebärdenübersetzung sendete. Warum sich die zukünftigen Privat-TV-Anbieter völlig aus der Verantwortung ziehen sollen, scheint nicht minder verständlich. Auch wenn es private TV-Sender aufgrund der Kleinheit Österreichs im Vergleich zu anderen Ländern schwerer haben werden, finanziell zu überleben, ist wohl nicht einzusehen, warum beispielsweise ein Krone-oder News-TV nicht für behinderte Zuseher ein wenig Geld investieren soll, wie das in anderen europäischen Staaten durchaus üblich ist (in England etwa müssen private TV-Sender 50 Prozent ihres Programmes untertiteln). Die Auflage könnte auch darin bestehen, eine bestimmte Sendezeit für ein Minderheitenprogramm zur Verfügung zu stellen, wie sie etwa der private deutsche TV-Sender DSF durch die wöchentlich halbstündige Ausstrahlung des Behindertenmagazins "Normal" erfüllt. Die einberufenen Weisen sollten jedoch nicht glauben, dass punktuelle Maßnahmen für gehörlose Menschen ausreichen, um das Programmangebot für behinderte Menschen nachhaltig zu verändern. Wandelt man durch die Gänge, Studios und Redaktionsräume des ORF wird man vergeblich nach gehörlosen, blinden oder Rollstuhl fahrenden Menschen suchen. Nachholbedarf Die Führungsetage am Küniglberg hat es in den letzten Jahren verabsäumt, selbst betroffene Menschen journalistisch auszubilden bzw. in die ORF-Gremien zu integrieren. Dadurch hat der ORF gegenüber der fortgeschrittenen gesellschaftlichen Integration Behinderter, die vor allem durch die schulische Integration stark forciert worden ist, ein starkes Nachholbedürfnis. Nur durch selbst betroffene Journalisten und Journalistinnen wird ein neues Bild in den Medien entstehen, das dem heutigen Selbstverständnis behinderter Menschen entspricht. Im Zuge der verstärkten Integration von behinderten Menschen in die BBC etwa hat sich etwa gezeigt, wie sehr Eigenerfahrung ("first hand life experiences") der medialen Umsetzung zugute kommt: Programme für bzw. über Behinderte sind dann am besten, wenn sie auch von Behinderten gemacht werden. Wenn der einstige ORF-Tiger und heutige Medien-Weise, Gerd Bacher, im STANDARD über einen BBC-ähnlichen ORF nachdenkt, sei ihm daher dringend geraten, bei der Neudefinierung des öffentlich-rechtlichen Auftrages die Forderungen der BehindertenvertreterInnen zu berücksichtigen:
  • Gesetzlich festgeschriebener Auftrag, die Staatszielbestimmung zur Gleichstellung behinderter Menschen im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Auftrages zu erfüllen (analog zu den Volksgruppen-Bestimmungen);

  • Aufnahme von Behindertenvertretern in die ORF-Gremien Stiftungs- und Publikumsrat (wie bei den Volksgruppen-Bestimmungen);

  • Spezielle Ausbildungsprogramme, damit behinderte Menschen die Möglichkeit haben, journalistisch tätig zu werden;

  • Zugänglichkeit aller ORF-Gebäude (Das Funkhaus Wien, das Radiokulturhaus und das Landesstudio Kärnten etwa sind für Rollstuhlfahrer "geschlossen");

  • Festschreibung von Auflagen für Privat-TV-Betreiber: Mindestmaß an Untertitelungen, Zurverfügungstellung von Sendeflächen für Minderheitenprogramme.
Dr. Franz-Joseph Huainigg, arbeitet in der Abteilung Medienpädagogik des Bildungsministeriums, leitet die AG "Behinderte Menschen und Medien" und ist Vorstandsmitglied von Integration:Österreich. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19.3.2001)