Kaum sinkt die Sonne, wird der Berg lebendig. Den ganzen Tag über schon hat mazedonische Polizei, gefechtsmäßig ausgerüstet mit Panzern und Haubitzen, auf die Popova Sapka gehalten, den Hügel über der Stadt. "Sie ballern ja nur", sagt spöttisch ein Albaner, der das Gefecht von einer Straßenecke aus verfolgt. "Die Polizei hat die Terroristen aus ihren Stellungen nahe der Stadt gedrängt", wird das Innenministerium am anderen Morgen verkünden - zwei Ausdrücke dafür, dass hier nur geschossen, aber nicht wirklich gekämpft werde. Aber mit dem Sonnenuntergang kommt Licht in die Verhältnisse. Im bergzugewandten Teil von Tetovo hat die Polizei ihre Stellungen aufgebaut. Panzer versperren die Durchfahrt, in den Straßen, die rechtwinkelig zum Berg verlaufen und ein freies Schussfeld bieten, stehen die Geschütze und feuern unablässig, jetzt, im Dunkeln, auch mit Leuchtspurmunition. Rote Raketen wie von einem Silvesterfeuerwerk fliegen in dichtem Abstand knapp über die Dächer. Ein kleines Stück südlich des Zentrums setzen Flammenwerfer der Polizei den Wald in Brand: Kaum hundert Meter über der Stadt und kaum fünfzig von einer bewohnten und beleuchteten Häusergruppe entfernt schießen die Flammen aus den Fichten hoch in den schwarzen Himmel. Profis am Werk Wie viele da oben kämpfen, weiß man nicht: vielleicht ein paar Hundert, vielleicht tausend. Aber dass hier Profis am Werk sind, ist den Mazedoniern inzwischen klar geworden. Anschaulich wurde das, als die Polizei in der vorigen Woche in das Bergdorf Tanusevci einrückte und unterirdische Bunker, Gräben und Spuren guter militärischer Ausrüstung fand. Nicht nur wie viele, auch wer sie sind, blieb bisher verborgen. Nur ein "Sprecher" mit dem Kampfnamen "Sokoli" (Falke) gab sich zu erkennen. Vier "Kommuniqués" hat die "Ushtria Clirimtare Kombetar" (UCK) bisher herausgegeben. Sie tragen die Nummern vier bis sieben, von den ersten drei hat man bisher nichts gehört. Nummer sechs ist so etwas wie die politische Plattform des Phantoms: eine Liste der Forderungen albanischer Parteien in Mazedonien, von der Anerkennung als "konstitutives Volk" bis zur eigenen Hochschule, als Zutat die territoriale Autonomie für die überwiegend albanischen Gemeinden im Westen des Landes. "Das klingt alles nicht so, als ob es in Mazedonien entstanden wäre", sagt Harald Schenker, der Sprecher der OSZE- Mission in Skopje. Man erkenne eher die Sprache, wie sie in der albanischen Emigration gepflegt werde, in der Schweiz etwa oder in Deutschland - viel Befreiungspathos und Anklänge an die maoistischen Formeln von Terrorbewegungen wie der IRA oder der Eta. Am Morgen, nach einer Nacht voller Gefechtslärm, füllen sich die Straßen von Tetovo wieder. Die, die geblieben sind, fürchten sich nicht. Der Krach kommt von Abschüssen aus der Stadt, nicht von Einschlägen. "Die schießen nicht auf uns", sagt Azem Xhemajli, ein Ladenbesitzer, "das sind ja unsere." (DER STANDARD Print-Ausgabe, 20.3.2001)