Wien - "Wen man liebt, den muss man züchtigen": ein belgisches Sprichwort, angewandt auf Belgiens Beziehungen zum schwarz-blau regierten Österreich. An der Universität Wien referieren in diesem Semester auf Einladung des Instituts für Zeitgeschichte Wissenschafter aus 15 europäischen Ländern über Österreichs jüngste Entwicklung; den Anfang machte Hervé Hasquin, Historiker, Exrektor der Universität Brüssel, Liberaler - und amtierender Ministerpräsident der Wallonie, Belgiens frankophoner Südhälfte.

Hasquin begann in seinem wissenschaftlichen Spezialgebiet, dem 18. Jahrhundert. Belgien gehörte damals zu Österreich, was dort zweifellos lebendiger erinnert wird als hier. "Österreich hatte seit Jahrhunderten einen Ruf als Bollwerk Europas": In der frühen Neuzeit Vorposten der Christenheit gegen die Türken, nach 1945 "der letzte Schützengraben der freien Welt vor dem riesigen sowjetischen Imperium".

"Was in Österreich geschieht, betrifft uns Belgier"

Umso größer sei in Belgien der Schock über die Regierungsbeteiligung der FPÖ: "Ideen werden schneller verbreitet als Waren. Was in Österreich geschieht, betrifft uns Belgier", verteidigte Hasquin die "Maßnahmen" der EU-14. Entscheidend sei "nicht so sehr die Empörung über eine rechtsextreme Partei mit faschistischen Anklängen. Österreich ist damit leider nicht allein." Es sei aber um einen "unmissverständlichen Tadel an jene Politiker gegangen, die mit einer solchen Partei eine Allianz eingehen".

Denn in Belgien gebe es "doch andere Sensibilitäten": Politiker anderer Parteien hätten sich etwa geweigert, mit Rechtsextremen im TV zu debattieren - die in der Wallonie durch derlei Ablehnung zurück in die Bedeutungslosigkeit verschwunden seien: "Man dient der Demokratie nicht, wenn man sich mit ihren Gegnern ins Bett legt."

Die Aufhebung der Sanktionen (die immerhin hinanzuhalten vermochten, dass Jörg Haider seinen "Humor" an Juden abreagierte) rechtfertigte Hasquin auf Frage des S TANDARD mit der Notwendigkeit zum Dialog, gerade auf akademischem Boden. Zudem: "Viele glauben sicher, das Gewitter sei vorbei. Aber man darf den Weisenbericht nicht unterschätzen. Er warnt deutlich vor den Gefahren, die von der FPÖ ausgehen." (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20. 3. 2001)