Vor 50 Jahren starb die Schriftstellerin Hermynia Zur Mühlen (1883-1951). Heute wird die "rote Gräfin" wieder entdeckt. Ein Memento von Christiane Zintzen . Sie musste den bunten Hund nicht mimen, um als solcher bekannt zu sein: Als "rote Gräfin" war sie Zeitgenossen ein Begriff, der KPD ein brillantes Zugpferd, den deutschen Lesern der Romane Upton Sinclairs die Conditio sine qua non. Den autoritären, später faschistischen Regimes deutscher Nation wurde sie öffentliches Ärgernis. Die Littérature engagée der österreichischen Schriftstellerin Hermynia Zur Mühlen ward verboten, verschwand in den Wirren des Weltkriegs und fiel zu Zeiten bemühter Erinnerungslosigkeit fast vollständig dem Vergessen anheim - zumal die Autorin, "abseits" im englischen Exil, in ihrem Heimatland Österreich buchstäblich keinen Stand mehr hatte. Was den Behörden der Nachkriegsjahre nur billig gewesen war, hätte die österreichische Literaturgeschichte beinahe um ein bemerkenswertes uvre gebracht, gäbe es nicht Forscher und Verleger, welche sich in jüngerer Zeit anschicken, dieses Werk den Lesern peu à peu zurückzugeben. Da sind etwa die 66 Stationen der 1936 publizierten Kurzprosasammlung Fahrt ins Licht , welche in klugen Konstellationen und sinnigen Skizzen aus den höchst diversen Szenarien erzählen, die die Autorin biografisch durchquert: 1883 als Tochter des Diplomaten Victor Folliot de Crenneville in beste k. k. Aristokratenkreise geboren, wuchs Hermynia Zur Mühlen jedoch ohne den sprichwörtlich "goldenen Löffel im Munde" auf: Die Eltern unterwegs auf Mission oder Reisen, blieb das Mädchen bei der Großmutter in Gmunden, bevor sie dem Vater an verschiedene Delegationsorte folgte: Lissabon, Algier und Tanger. Nach einer Fluchtmöglichkeit aus dem "wohltemperierten Glashaus" suchend, ehelichte sie Hals über Kopf einen baltischen Junker: Die charakterliche und politische Mésalliance hätte kaum größer sein können, die "nervenzerreißende Stille" des einsamen Landlebens besorgte den Rest: Der Weg in ein Davoser Lungensanatorium kurz vor dem Ersten Weltkrieg war eine Reise ohne Wiederkehr. Mit Kriegsanbruch enden auch die persönlichen Erinnerungen, welche Zur Mühlen 1929 unter dem Titel Ende und Anfang veröffentlicht hat: ein treffsicherer Rapport über eine mürbe Gesellschaft, deren Rituale und Stilspiele etliche Themen und Motive späterer Prosawerke präfigurieren. 1934 bezieht sich Karl Kraus in der Fackel auf eine Episode und lobt die Zivilcourage der "tapferen Hermynia Zur Mühlen": Die dissidente Gräfin, so Kraus, habe zwar gesellschaftlich ihren Adel verloren, ihn jedoch charakterlich nie eingebüßt. Noch größeres Lob sprechen die Bekenntnisse eines Bürgers des Sándor Márai, welcher 1920 seine Frankfurter Wohnung mit ihr und dem Lebensgefährten Isidor Klein teilte: Keine Frau habe einen ähnlich tiefen Eindruck auf ihn hinterlassen wie jene Femme fragile mit ihrer "alarmierenden, anziehenden Einmaligkeit", ihrem sensiblen sozialen Gewissen und ihrer rastlosen Arbeitswut: "Ihre Lunge war fast gänzlich eingeschmolzen, dennoch arbeitete sie zehn bis zwölf Stunden am Tag, vom Morgen an über ihre Schreibmaschine gebeugt, immer eine qualmende, dicke amerikanische oder englische, opiumhaltige Zigarette im Mund." In der Tat übersetzt sie in dieser Zeit praktisch das gesamte Prosawerk Upton Sinclairs für den Berliner Malik-Verlag. Und so schrieb sie auch in Berlin um ihr Leben: für Kinder, für Zeitungen, für den Bedarf an sozialistischer Gesellschaftsromanliteratur. Übte damit vorgeblich Hochverrat an der Weimarer Republik und geriet auf faschistische Fahndungslisten. So ging es also zurück nach dem - noch - exterritorialen Wien, von wo aus sie ihre literarische Stimme wieder gegen das teutonische Brüllen erhob.
Agitatorisch deutlich
Mit der 1935 im Gsur-Verlag erschienenen Romanstudie Unsere Töchter, die Nazinen bewies die erfahrene Autorin Mut zur agitatorischen Deutlichkeit. Das bereits nach wenigen Wochen aus dem Verkehr gezogene Textplanspiel fasziniert heute als präzise Bestandsaufnahme des neu kodierten Alltags im Jahr eins nach der Hitlerschen Wende. Auf der Flucht aus der Ostmark (zunächst in die Slowakei, später ins englische Exil) entstanden zwei Romane einer vermuteten Österreich-Trilogie, in welcher sich Zur Mühlen höchst produktiv mit den Milieus und Gesellschaftsformationen ihrer Herkunft auseinander setzt: Behandelt Ewiges Schattenspiel am Material einer weitverzweigten Familiengeschichte die Zeit des Vormärz unter den Auspizien von Repression und Reform, so setzt Als der Fremde kam die Herdegen-Sage mit umgekehrten Vorzeichen auf tschechoslowakischem Boden fort: von der hoffnungsvollen Republik Thomá Masaryks bis zum Fanal des Einmarsches der deutschen Truppen 1939. Mag man diese Romane in ihrem klaren Aufbau, in ihren demokratischen Personentableaus und ihren geradlinigen Agenden vielleicht für durchsichtig halten: Dieses Romanwerk legt allerdings die Vermutung nahe, dass mit Hermynia Zur Mühlen ein Missing Link zwischen den großen österreichischen Erzählern des 19. Jahrhunderts (insbesondere Marie von Ebner-Eschenbach) und der Moderne (wieder)gefunden sein könnte. Vor 50 Jahren ist Hermynia Zur Mühlen in England verstorben. Österreich kümmerte es kaum. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 21. 3. 2001)