Zweitens handelt es sich beim hier gezeigten, aktuellen Religionspädagogen-Outfit noch um eine der diesem Mann am ehesten schmeichelnden Maßnahmen bezüglich Gesichtsverschönerung durch Bartwildwuchs. Wenn sich Will Oldham nämlich nicht gerade mit Russenfellmütze in einer Dunkelkammer ablichten lässt oder man ihn mit nacktem Oberkörper beim Glatzescheren erwischt, stellt ihn seine Plattenfirma zwecks Fotoaufnahmen beispielsweise beim Essen von Nudelsuppe. Wobei eine Stoppelglatze hübsch abstoßend von einem Kaiser-Franz-Josephs-Backenbart konterkariert wird.
Da es in diesem Magazin allerdings zumindest optisch darum gehen soll, zu zeigen, dass es im Leben abseits von Haarstyling nicht nur Tragödien, sondern auch immer wieder gefälligere Tragödchen gibt, haben wir uns also für diesen grafischen Kompromiss entschlossen.
Geduld, Geduld! Hier geht es keinesfalls darum, den Leser in die Irre zu führen, das hat hier schon alles seine Richtigkeit. Also: Will Oldham ist traurig. Er sieht aus wie ein Religionslehrer. Und er hat Mut genug, sich selbst lächerlich zu machen. Wie das Foto zusätzlich zeigt: Will Oldham ist ein Zerrissener. Kurz, der Mann aus dem malerischen Louisville, Kentucky, ist eines der letzten Genies der Songwriting-Szene!
Seine Karriere startete der heute ungefähr 30-Jährige nach diversen unbeachteten Singles 1993. Damals erschien unter dem Projekttitel Palace Brothers, dem ersten seiner bald inflationär um den Begriff Palace kreisenden Pseudonyme, das bis heute grandios gebliebene Debütalbum There Is No-One What Will Take Care Of You. Darauf lässt sich eigentlich schon alles nachhören, was Will Oldham heute noch auszeichnet: zarte, zerbrechliche, vor allem aber auch gebrechliche Country-Musik, der man den Cowboy ordentlich ausgetrieben und das klassische Kirchenlied noch ordentlicher eingebläut hat. Mit einfachsten und musikalisch definitiv beschränkten Mitteln versucht hier einer holprig und mehr oder weniger unbeholfen - auf jeden Fall aber beherzt! - mit immer wieder versagender, gleichförmig klagender Kopfstimme jene Form heiteren Südstaatenwahnsinns nachzuzeichnen, wie wir ihn von großen alten US-Erzählern wie Jim Thompson, Flannery O'Connor, William Faulkner, Cormac Mc Carthy oder Erskine Caldwell so sehr schätzen. Es geht um die Liebe. Es geht allerdings streng gesehen um den lebensnahen Bereich der tragischen und scheiternden Liebe zwischen Mann und Frau. Es geht immer wieder auch, wir befinden uns schließlich im Bible Belt, um die Liebe zu Gott. Es geht, daraus alttestamentarisch abgeleitet, um die Liebe zu Vater und Mutter. Es geht um die Liebe zur Angst vor gerechtem Zorn. Es geht um die Furcht vor dem Teufel.
Diese Furcht liebt man am allermeisten. Die Liebe zur Furcht ist immerhin die einzige Hemmschwelle, sich so wie ein hier beschriebener Prediger am Samstag aus lauter Liebe zum Alkohol so sehr in aller Öffentlichkeit zu besaufen, dass am Sonntag das Wort Gottes verkatert vor einer leeren Kirche gepredigt werden muss. Der Prediger schämt sich so sehr, dass er sein Pferd nimmt und sich eine neue Gemeinde sucht: (I was drunk at the) Pulpit.
Im Universum von Will Oldham geht es immer wieder auch um Scham und Schande, um Schuld ohne Sühne, um Erlösung in der selbst gewählten Verdammnis. Nicht umsonst wurde deshalb neben dem weiter hinten im Blatt gewürdigten Nick Cave auch Will Oldham die Ehre zuteil, von Johnny Cash gecovert zu werden. Das im Vorjahr entstandene Duett I See A Darkness mit Cashs Grundelstimme und dem strikt neben dem Takt greinenden Komponisten zählt schon jetzt zu den Gänsehautklassikern des Genres.