Der große Dunkelmann der Musikszene, der australische Sänger Nick Cave, meldet sich mit dem altersweisen, aber unversöhnlichen Album "No More Shall We Part" zurück. Christian Schachinger sprach mit ihm in London. "Wie meinen Sie das, wenn Sie behaupten, ich hätte ein negatives Weltbild?! Selbstverständlich birgt jede Liebe von Anfang an das Element des Scheiterns in sich! Kennen Sie eine einzige Beziehung, die auf lange Sicht gesehen nicht schief gegangen wäre?! Ich kann doch nicht plötzlich, jetzt da ich gerade zufällig glücklich verheiratet bin, damit beginnen, Happy-go-lucky-Songs für die Hitparade zu schreiben. Jedes gute Liebeslied hat ein trauriges zu sein! Leiden ist ein kreativer Akt, Verlustangst ein grundlegendes Gefühl. Darum geht es in meiner Arbeit: I'm happy to be sad!" Nach halbstündigem Gespräch wird Nick Cave schließlich doch ein wenig ungehalten. Neben der Tatsache, dass der 43-jährige australische Tragöde, dem breiten Publikum 1996 ironischerweise mit der nachtschwarzen Killer-Ballade Where The Wild Roses Grow bekanntgeworden, nach jahrelangen negativen Erfahrungen speziell mit der Musikpresse seiner Londoner Wahlheimat (inklusive tätlicher Angriffe auf unbotmäßige Schreiber) neuerdings überhaupt wieder Interviews gibt, ist vor allem auch eines bemerkenswert: Nick Cave verwendet anlässlich des Erscheinens seines neuen Albums No More Shall We Part derzeit ganze Tage darauf, Interviews in Serie zu geben. Das macht keine gute Stimmung. "Ich weiß ja selbst, dass das für beide Seiten ein unangenehmer, aber letztlich notwendiger Job ist. Aber ich werde von Interview zu Interview zunehmend hysterischer. Ich bin es nicht gewohnt, den ganzen Tag über mich und meine Arbeit zu sprechen. Interviews waren noch die Totenglocke für jedes Projekt, an dem ich beteiligt war. Lieder, an denen ich über sehr lange Zeiträume intensiv und ganz für mich allein gearbeitet habe, werden plötzlich zum öffentlichen Verfahrensgegenstand, dem ich mit meiner Verteidigungsrede keine wirkliche Gerechtigkeit widerfahren lassen kann. Ich hasse das. Wenn ich dann am Abend nach Hause komme und mich meine Frau fragt, wie es gelaufen ist, kann ich nur eines sagen: Aaaargh!" Nach vierjähriger Pause, während der der große Dunkelmann der alternativen Musikszene nicht nur geheiratet hat, sondern auch mit den Zwillingen Arthur und Earl zum vierten Mal Vater wurde ("Interessant, unheimlich, überwältigend!"), legt Cave dieser Tage mit besagtem No More Shall We Part ein Werk vor, das sich schon wie das vorangegangene Album The Boatman's Call durch ein bemerkenswertes Charakteristikum von den Arbeiten früherer Tage unterscheidet. Caves Musik wie seine Texte öffnen sich nach seinen wilden, brutalen Anfängen Ende der 70er-Jahre als selbstdestruktiver und schwer amphetamin- und heroinabhängiger Amokläufer in der chaotischen Blues-Punk-Band The Birthday Party und den ersten Schritten seiner Solokarriere mit seiner Begleitband The Bad Seeds zunehmend gegenüber der Welt. Sie werden auch dank eines mittlerweile bürgerlichen Lebenswandels intimer, persönlicher. Und sie bieten dabei zwangsläufig offene, leicht angreifbare Flanken. "Früher habe ich mich in meinen Liedern oft hinter fiktiven Personen versteckt und Rollenspiele betrieben. Es ist ja auch nichts leichter, als ein Szenario zu entwerfen, in dem zwei Kerle wegen einer Frau aneinander geraten, und man dann einem der beiden eine Pistole in die Hand drückt. Der Rest schreibt sich von ganz allein. Das dauert oft nicht länger als drei Minuten. Schauen Sie sich doch nur die Geschichte der Blues- und Country-Musik an. Hier wimmelt es nur so von betrogenen, selbstmitleidigen, schießwütigen Männern, die dann im Gefängnis in die Welt hinausbrüllen, dass sie nichts bereuen. Diese Songwritingtechnik beherrsche ich mittlerweile wirklich aus dem Effeff. Das stellt für mich spätestens seit meinem Album Murder Ballads aus 1996 keine Herausforderung mehr dar. Meine neueren Kompositionen benötigen hingegen oft mehrere Monate, bis sie meines Erachtens an einem Reifepunkt angelangt sind, der es zumindest erlaubt, dass ich nicht ganz unglücklich bin, wenn ich sie im Studio mit meiner Band aufnehme." Immerhin aber haben solche alten Amokläufer-Songs, etwa der jüngst von Johnny Cash interpretierte Höllenritt von The Mercy Seat, erheblich zur mythischen Verklärung von Nick Cave beigetragen und ihm eine dem Meister bedingungslos jedes Wort von den Lippen ablesende Anhängerschaft beschert. Mit dieser hat der einst selbstdeklarierte "König der schwarzen Krähen" nicht immer seine reine Freude: "Der Unterschied von Autor und Werk, gerade der Humor in meiner Arbeit werden leider oft überhaupt nicht berücksichtigt. Die Leute nehmen das, was ich singe, tendenziell eins zu eins. Dass aber das Pub- likum Stücke wie beispielsweise Deep In The Woods tatsächlich für bare Münze nimmt, erfüllt mich mit Schaudern. Ich hegte zwar nie besondere Sympathien für die Menschheit, weiß aber heute, dass die einzige gangbare Lösung im Miteinander und nicht in der Aggression und im Hass liegt. Selbstverständlich stehe ich zu solchen Songs wie The Mercy Seat , in dem ein Mann auf dem elektrischen Stuhl noch einmal sein Leben Revue passieren lässt, nach wie vor. Das sind tatsächlich gelungene Kompositionen, die die unterschiedlichsten Interpretationen, etwa jene von Johnny Cash auf seinem aktuellen Album zulassen. Allerdings habe ich mich naturgemäß weiterentwickelt. Erwachsen zu werden bedeutet, Erfahrungen zu machen. Und davon hatte ich einige in meinem Leben." Cave spielt nicht nur auf seine langjährige Drogensucht an. Diese Lebensphase umschreibt er heute übrigens als "War against sleep". Cave entdeckt im Alter auch einen Begriff, der ihm früher wohl als Gottseibeiuns erschien: Disziplin. Das bedeutet eiserne Arbeitsmoral: "Früher habe ich meine Musik, wenn es die Umstände oder meine Nüchternheit gerade erlaubten, nebenher auf Notizzettel hingeschmiert. Heute sitze ich in meinem Büro täglich sieben Stunden am Klavier und zwinge mich zum Komponieren. Ein gängiges Vorurteil besagt zwar etwas anderes, aber darauf, dass einen unvermittelt die Muse küsst, kann man lange warten." Ob das Alter oder die Gründung einer Familie milder machen, immerhin hört man auf No More Shall We Part sehr persönlich gehaltene Alltagsbetrachtungen ( Gates Of The Garden , The Sorrowful Wife, Love Letter ) und nur mehr wenige Reste einer einst aus allen Fugen berstenden musikalischen Aggression ( Fifteen Feet Of Pure White Snow ), mag Cave so nicht bestätigen: "Natürlich glaube ich persönlich auch, dass ich in vieler Hinsicht ruhiger geworden bin. Das übermächtige Verlangen, die Dinge einfach herauszuschreien, hat sicherlich abgenommen. Das hat auch damit zu tun, dass ich mich über all die Jahre intensiv mit der Heiligen Schrift beschäftigt habe. Anfangs beherrschte hier rein das intellektuelle Interesse die Lektüre. Natürlich aber kann man sich der in der Bibel vermittelten Spiritualität auf Dauer nicht entziehen. Einschränkend muss ich aber heute sagen, dass der Gottglaube relativ schnell dem Glauben an eine alles und jeden durchdringende Spiritualität gewichen ist. Ich bin gegenüber der Welt gelassener geworden. Ob es allerdings ein Leben nach dem Tode gibt, wage ich zu bezweifeln." Der Schlussfolgerung allerdings, dass ein gelassenerer Nick Cave deshalb dem Leben und seinen Widrigkeiten nicht nur humorvoller als früher gegenübertritt, sondern auch mit spöttischer Ironie, wird heftig widersprochen: "Nein, auf keinen Fall! Bloß weil ich jetzt zunehmend weniger Scheu habe, mir in den Texten Blößen zu geben, bloß weil ich, wenn Sie so wollen, nicht mehr bestrebt bin, ,cool' zu wirken und mich von meinem alten Image löse, bedeutet das noch lange nicht, dass es mir mit meinen Themen nicht absolut ernst wäre! Ich kann Ihnen den Unterschied von Humor und Ironie jetzt auch nicht auf die Schnelle erklären. Es geht schlichtweg darum, dass man in Songs, die die eigene Karriere möglichst überdauern sollen, immer einen doppelten Boden einziehen muss. Ich werde jetzt aber nicht den Fehler begehen und erklären, an welcher Stelle das in einem Song geschieht. Das muss der Hörer schon für sich selbst herausfinden." Eilige Hörer allerdings könnten beispielsweise den Albumtrack God Is In The House in doppelter Hinsicht in die falsche Kehle bekommen. Hier werde doch wahlweise sarkastisch oder durchwegs affirmativ die bibelfeste Idylle einer namenlosen Kleinstadt im US-Süden geschildert, in der es weder Kriminelle, noch Liberale, noch Homosexuelle gebe, weil ja hier das Wort Gottes regiere. "Ich danke Gott, dass ich es mittlerweile nicht mehr nötig habe, eindeutig Stellung zu beziehen und es mir möglich geworden ist, mich völlig aus der zeitgenössischen Musik zurückzuziehen. Ich weiß ja auch gar nicht, was junge Menschen an meiner Musik so bemerkenswert finden. Schön, dass sie meine Alben kaufen, der Rest interessiert mich nicht. Der künstlerische Akt ist kein besonders bewusster. Was man von God Is In The House halten soll? Urteilen Sie selbst!" Nick Cave hat einmal etwas pathetisch behauptet, Musik wäre dazu da, die Stille zwischen uns und Gott zu überbrücken, die Entfernung zwischen dem irdisch Vergänglichen und dem ewig Göttlichen. Geht es auch darum, die Stille, die Leere in sich selbst mit Bedeutung zu füllen? "Wenn Sie so wollen, ja." (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23. 3. 2001)