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Dubai: Ausländeranteil 87,5 Prozent
Anfang des Jahres 2000 verkündete Seine Hoheit, Scheich Maktum bin Mohammed, der Verteidigungsminister der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), auf einer Pressekonferenz, dass die Internetrevolution und die New Economy nun auch bei der Regierung von Dubai angekommen seien. Es war ein irritierend ungleichzeitiges Bild: eine ganz traditionell in eine tiefschwarze dishdasah gewandete Figur, die mit der launigen Plauderstimme eines ausgebufften Firmenmanagers spricht. Während hinter ihm die Schaubilder zu Synergieeffekten, Internet-gestützten Lösungen, Umlaufzeit-Reduzierung und ähnlichen Begriffen über einen Videoschirm huschten, beteuerte der Minister, dass man ihm, sollte sein e-government@Dubai nicht binnen 18 Monaten voll funktionsfähig sein, einen Tritt in den Hintern geben dürfe.
Der
Verteidigungsminister gab die übliche Wir-schaffen-es-Devise aus, die typischerweise
auch nichts mit Fragen der Verteidigung zu tun hatte. Im Rahmen der aberwitzigen Machtstruktur
der Vereinigten Arabischen Emirate (ein Erbe des britischen Empires) verbleibt den
sieben Mitgliedstaaten eine weit gehende Autonomie. Dabei ist für die Verteidigung
der VAE im Wesentlichen Abu Dhabi zuständig, das dank seiner Ölvorkommen das reichste
der sieben Emirate ist.
Für
Dubai bestand das Hauptgeschäft dagegen schon immer im Geschäftemachen. Allerdings
haben sich Umfang und Art der Geschäfte radikal verändert. Vor kaum mehr als einer
Generation hatte Scheich Maktum bin Raschid, der Gründer der modernen Stadt Dubai,
seinen Sitz am Ufer des Dubai Creek und kassierte ein paar Dirhems von den Fährbooten,
die den Reisenden über den Meeresarm halfen. Unter Raschids Sohn Mohammed – der faktisch
regiert, weil sich sein älterer Bruder als nomineller Herrscher mehr für seine Pferde
als für öffentliche Angelegenheiten interessiert – ist Dubai heute zu einem internationalen
Luftkreuz und vielleicht zu der am schnellsten wachsenden Stadt der Welt geworden.
Doch mit der Entstehung dieser Stadt wurde zugleich eine nichtarabische Gesellschaft
ins Herz Arabiens eingepflanzt.
Bei
einem jährlichen Bruttoinlandsprodukt von lediglich 16 Milliarden Dollar hat
Dubai bei weitem nicht – oder jedenfalls noch nicht – die Bedeutung etwa von Singapur,
dem es nachzueifern versucht. Aber es ist eine außerordentlich dynamische, ehrgeizige
und erfolgreiche Stadt, die zahlreiche Superlative aufweisen kann. Diese Spitzenleistungen
beziehen sich in der Regel auf alles, was die Maktum AG – wie Dubai auch genannt wird
– vorzuzeigen hat: das größte und luxuriöseste Hotel der Welt in Gestalt des sagenhaften
Borj al-Arab, das kürzlich auf einer künstlich aufgeschütteten Insel im Golf errichtet
wurde, oder den größten von Menschenhand erbauten Hafen in der Freien Wirtschaftszone
von Jebel Ali oder auch der größte Hochzeitskuchen der Welt.
Am
bedeutsamsten ist jedoch ein ganz anderer Rekord, der nicht an die große Glocke
gehängt wird: Gemessen an der Zahl der Einwohner liegt der Anteil der Immigranten
höher als irgendwo sonst in der Welt. In den gesamten VAE mit ihren 2,5 Millionen
Einwohnern kommen auf einen einheimischen Bürger sieben Ausländer, die vorwiegend
nichtarabischer Herkunft sind: 1,2 Millionen Inder, 600 000 Pakistani, 100 000 Iraner
und Angehörige von zig anderen Nationen, darunter auch 50 000 Briten. Nimmt man dagegen
die Stadt Dubai allein, beträgt der Anteil der einheimischen Bürger (bei etwas mehr
als einer Million Einwohner) gerade einmal acht Prozent.
Diese
haben zwar die Exekutive und die Verwaltung fest in ihrer Hand, aber damit
sind auch viele der einheimischen Arbeitskräfte an diese Funktionen gebunden. Im privaten
Wirtschaftssektor dagegen beläuft sich ihr Anteil nur auf ein bis zwei Prozent. In
diesem Bereich dominieren die Inder, und zwar am oberen wie am unteren Ende der Skala:
am oberen besitzen und betreiben sie praktisch jedes zweite Geschäft, und ganz unten
stellen sie den Großteil der gelernten und ungelernten Arbeiter.
Den
Einwanderern ist jede politische Betätigung streng verboten. Nicht dass sie dieses
Recht besonders energisch einklagen würden, aber latente Ressentiments sind durchaus
vorhanden. "Es geht uns schon ganz gut hier", meint ein indischer Gemüsegroßhändler,
"aber es ist eben doch bitter, dass wir nicht einmal ein Haus kaufen können." Aber
auch dieser Inder hat sich offenbar, wie alle anderen, mit der grundlegenden, stillschweigenden
Übereinkunft zwischen Einheimischen und Einwanderern abgefunden, auf der die ganze
Konstruktion basiert: Dubai ist zwar ganz bestimmt eine Global City, aber damit noch
längst kein Schmelztigel, aus dem sich ein neues polyglottes Gemeinwesen entwickeln
würde, vielleicht schon eher ein neuer Turm zu Babel.
Einwanderer
können ihre Familien nachholen, wenn sie mehr als 1 000 Dollar monatlich
verdienen. Einige von ihnen sind sehr lange da und haben es zu großem Reichtum gebracht.
Und immer mehr sind auch hier geboren. Aber sie können keine Staatsbürgerschaft erwerben,
von seltenen Ausnahmen einmal abgesehen, über die das Herrscherhaus befindet. Selbst
die erfolgreichsten Immigranten sind keine vollen Eigentümer der Geschäfte, die sie
aufgebaut haben. 51 Prozent davon müssen sie an einen einheimischen Bürgen abtreten,
obwohl der (wenn alles gut geht) lediglich als stiller Gesellschafter fungiert, der
für seine "Mitarbeit" eine jährliche Provision bezieht.
Paternalistische Regentschaft
Aber
auch die Staatsbürger Dubais haben politisch herzlich wenig zu sagen. Die Maktums
betreiben ihren Stadtstaat nach Art von Patriarchen. Gewiss, es ist ein ausgesprochen
mildes Regiment, politische Gefangene zum Beispiel gibt es nicht; aber eben auch keine
Demokratie, keine Wahlen, keine politischen Parteien. Nach der Verfassung stehen die
Einnahmen aus der Ölförderung dem Herrscherhaus zu. Doch ein staatliches Budget wird
nie veröffentlicht.
Es
gibt zwar Intellektuelle, die dieses autoritäre System milde kritisieren, aber
die Herrscherfamilie genießt die breite Zustimmung des Volkes, und Scheich Mohammed
persönlich wird allgemein sehr verehrt. Der Scheich hat ein Team von mehr oder weniger
gleich gesinnten, hervorragend ausgebildeten Managern um sich versammelt und kann
– als ein Mann mit modernen Visionen und Entschlossenheit, dem zugleich alle traditionell
überkommene autokratische Macht zu Gebote steht – erstaunlich rasch und geschickt
Entscheidungen treffen und sie auch umsetzen.
Was
das schiere Familienvermögen betrifft, so dürften die Maktums wohl weniger besitzen
als die meisten anderen Herrscherhäuser am Golf, aber sie investieren einen weit größeren
Teil ihres Reichtums für konstruktive Ziele. Dass diese auch erreicht werden, dafür
sorgt dann schon das unerschöpfliche Reservoir an fähigen ausländischen Arbeitskräften.
Somit
gebietet Scheich Mohammed über ein System und eine Gesellschaft, die mit ihrem
multiethnischen Charakter ein einzigartiges Maß an Toleranz und Offenheit aufweisen.
Von islamischem Fundamentalismus ist hier jedenfalls so gut wie nichts zu spüren.
Die Einheimischen (Dubaier) sind zwar insgesamt zutiefst konservativ eingestellt und
bleiben – sieht man von einer kleinen Elite ab – am liebsten unter sich. Aber ihr
Alltagsmotto "Leben und leben lassen" wird nicht nur von Amts wegen propagiert, sondern
auch tatsächlich praktiziert.
Und
auch der für Dubai typische Hedonismus wird keineswegs heimlich betrieben. Es
gibt zahllose Restaurants und Gaststätten unter freiem Himmel, zahlreiche Bars und
Nachtclubs und noch zahlreichere Prostituierte von überallher, die eigentlich illegal
sind, aber stillschweigend toleriert werden. Der öffentliche Genuss von Alkohol ist
lediglich am Geburtstag des Propheten von sechs Uhr morgens bis sechs Uhr abends verboten.
Und nicht nur westliche Singles, sondern auch arabische Frauen können ohne weiteres
allein ins Kino oder sogar in eine Disco gehen. Besucher aus Lille, Birmingham oder
Baltimore finden sich hier – wie nirgends sonst auf der arabischen Halbinsel – inmitten
einer beruhigenden Umgebung voll von Dingen, die ihnen von zu Hause vertraut sind.
"Ich reise nicht in den Nahen Osten," meinte einmal ein steinreicher Vertreter des
internationalen Großindustrie-Jetsets ohne jede Ironie, "aber gegen ein paar Tage
in Dubai habe ich nichts einzuwenden."
Dem
internationalen Nimbus des Scheichtums entspricht die stetig expandierende moderne
Infrastruktur, die trotz ihres hastigen Aufbaus großteils gut geplant und ausgeführt,
und auch einigermaßen geschmackvoll gestaltet ist. Das macht Dubai zu einem Ort, an
dem es sich, von den baulichen und sozialen Voraussetzungen her, ziemlich angenehm
leben lässt. Die öffentliche Ordnung funktioniert, was sich zum Beispiel in einem
disziplinierten Straßenverkehr ablesen lässt. Die Verwaltung ist, an den Maßstäben
der Region gemessen, ungeheuer effizient und korruptionsresistent. Scheich Mohammed
macht bei seinen Beamten unangemeldete Inspektionsbesuche, und wen er dabei untätig
antrifft, der wird an die Luft gesetzt.
Doch
die größte Überraschung ist vielleicht die Entdeckung, dass Dubai grün ist.
An einem der wasserärmsten Orte der Erde liegt der Wasserverbrauch pro Kopf fast viermal
so hoch wie der Weltdurchschnitt. Dieses Wasser stammt fast ausschließlich aus Meerwasserentsalzungsanlagen
und wird nach dem Gebrauch in den Haushalten in Kläranlagen gereinigt, um anschließend
die künstlich angelegten Parks zu bewässern oder auch die vorbildlich begrünten Randstreifen
der neuen vielspurigen Autobahnen. Und natürlich auch die Golfplätze, von denen die
vier berühmtesten in den letzten zehn Jahren angelegt wurden. Sportveranstaltungen
jeglicher Art gehören zu den vielen Attraktionen, mit deren Hilfe die Maktum AG ihr
globales Image unentwegt aufzubessern und zu vermarkten sucht. Bei den nächsten Desert
Classics wird der weltbeste Profigolfer Tiger Woods teilnehmen; der Dubai World Cup
ist das höchstdotierte Pferderennen der Welt; in jeder Woche steigt ein bedeutendes
internationales Ereignis; die Dubai Air Show zum Beispiel ist die drittgrößte Luftfahrtschau
nach Paris und Farnborough.
Diese
Superlative von Dubai haben ohne Zweifel auch etwas von einer Spekulationsblase
an sich. Kein Mensch kennt den tatsächlichen Stand der öffentlichen Finanzen. Und
wenn der kosmopolitische Lack abblättert, kommen die lokalen Eigenheiten wieder zum
Vorschein: Geschäftsleute klagen bisweilen, es sei wichtiger, die richtigen Leute
zu kennen, als die richtigen Waren anzubieten. Und sie weisen darauf hin, dass Insider-Handel
in Dubai nicht einmal als illegal gilt. Wenn ein Ausländer Bankrott macht, kann es
ihm passieren, dass er ins Gefängnis wandert, weil es kein richtiges Konkursrecht
gibt. Und die Gerichte halten Ausländer manchmal in den Schlingen eines Rechtssystems
gefangen, das bei Verbrechen, aber auch bei Unfällen immer noch so archaische islamische
Regelungen wie das Blutgeld kennt.
Aber
trotz dieser Schwachstellen verfügt die Global City Dubai über eine reelle ökonomische
Substanz. Die besteht, im Unterschied zu allen anderen Ländern in der Region, nicht
allein aus den Ölvorkommen, die ohnehin am Versiegen sind und heute nur noch sieben
Prozent des BIP ausmachen. Es handelt sich vielmehr um ein diversifiziertes, organisches
Wachstum, das auf vier Hauptpfeilern beruht. Der erste ist die Expansion des traditionellen
Handels. Die Gebäude am Rande des Dubai Creek mögen einen futuristischen Anblick bieten,
aber hier liegen auch immer noch die gedrungenen altmodischen Daus vor Anker, jene
hölzernen Zweimaster, die dieselben Güter wie eh und je in den Iran, nach Indien oder
nach Sansibar transportieren. Aber gleichzeitig ist Dubai mit seiner riesigen Freien
Handelszone und dem mit Abstand meistfrequentierten Flughafen des Nahen Ostens zu
einem der führenden Anbieter moderner Transportdienstleistungen geworden. Hier schafft
man es in glatt vier Stunden, die Güter vom Schiff ins Flugzeug umzuladen.
Zweitens
haben Unternehmen aus aller Welt in Dubai ihre regionalen Nahostvertretungen
angesiedelt, die zunehmend auch Afrika und Asien einschließlich der früheren Sowjetrepubliken
abdecken. Der Herausgeber einer englischsprachigen Zeitung konstatiert, dass sich
die Atmosphäre der internationalen Effektivität, die Dubai sich geschaffen hat, in
jüngster Zeit extrem verdichtet: Jetzt wollen wirklich alle kommen. Von den Firmen,
die das US-Magazin Fortune auf seiner globalen Hitliste führt, sind 90 Prozent schon
da.
Entsprechend
gedeiht der dritte Faktor, der Tourismus: Vor zehn Jahren hatte Dubai
44 Hotels, heute sind es 257, und die neue Branche trägt bereits 16 Prozent zum BIP
bei. Die Besucher kommen in Scharen, sogar im schwülen Hochsommer, wenn eine vollklimatisierte
Glitzerwelt ihre Vorzüge voll zur Geltung bringt, wie etwa im berühmten und traditionsreichen
Basar Gold-Suk, oder in den großen neuen Einkaufsgalerien, den billigsten der Welt.
Und
viertens geht Dubai nun also ins E-Business. Zeitgleich mit e-government@Dubai
entsteht mitten in der Wüste – neben einem weiteren Golfplatz – eine rundum neue und
steuerbefreite Offshore-Internet- und Multimedia-City (mit steuerfreier Ware). Hier
werden die Schwergewichte der Branche wie Microsoft und Oracle ganz groß einsteigen.
Zuweilen
wird behauptet, ein Ort wie Dubai habe keine Identität und könne auch keine
haben; er sei ja nur Durchgangsstation für Reisende, die gehen und kommen. Es mag
durchaus sein, meint ein westlicher Diplomat, dass die Einheimischen hier weiterhin
regieren werden, aber in kultureller Hinsicht könnten sie am Ende zum exotischen Überbleibsel
im eigenen Lande verkümmern. Zwar versuchten sie mit allen Mitteln, ihren eigenständigen
Charakter zu bewahren, indem sie zum Beispiel gemischte Ehen erschweren. Aber der
Kampf werde auf lange Sicht durch die Gesetze von Handel und Kommerz entschieden.
"Egal, was wir tun, wir stehen auf verlorenem Posten", meint ein einheimischer Akademiker.
"Wenn wir die Zuwanderung von Arbeitskräften beschränken, kommt die Entwicklung zum
Stillstand; Entwicklung hingegen bedeutet noch mehr Zuwanderung. Die Zahlen sind erschreckend.
In unseren Krankenhäusern werden schon dreimal mehr indische als einheimische Kinder
geboren."
Und
trotzdem wird nichts unternommen, um die Einwanderer einzubürgern. Von den Vereinigten
Arabischen Emiraten ist Dubai als erstes der Welthandelsorganisation (WTO) beigetreten.
Für die absehbare Zukunft ist man jedoch von der WTO-Verpflichtung befreit, wonach
dem ausländischen Kapital die vollständigen Unternehmens- und Besitzrechte einzuräumen
sind. Allenfalls wäre man zögernd bereit, gewissen Ausländern ein Residenzrecht einzuräumen
– auf keinen Fall mehr und auch nur wirklich verdienten Bewerbern. So ist es Ausländern
neuerdings erlaubt, sich in die neue Luxussiedlung Emirates Hills einzukaufen, deren
540 Villen jeweils auf 99 Jahre verpachtet werden.
Aber
das wird auf lange Sicht nicht reichen. Und irgendwann wird der Zeitpunkt kommen,
zu dem eine ständig wachsende Immigrantenbevölkerung politische Forderungen stellt,
die ihrer tatsächlichen Rolle und ihrem Gewicht entsprechen. Die Bürger von Dubai
denken nicht gern darüber nach, wann es soweit sein wird. Und Scheich Mohammed hegt
vermutlich die Hoffnung, man könne die Antwort auf solche Fragen umso länger hinausschieben,
je produktiver und lohnender es für Einheimische wie Einwanderer wird, am Aufbau ihrer
großen neuen Global City mitzuwirken. Aber je globaler diese City wird, desto einschneidender
dürfte die Antwort aussehen, wenn sie am Ende fällig wird.
David Hirst lebt als Journalist in Beirut. Deutsch von Niels Kadritzke