Anfang des Jahres 2000 verkündete Seine Hoheit, Scheich Maktum bin Mohammed, der Verteidigungsminister der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), auf einer Pressekonferenz, dass die Internetrevolution und die New Economy nun auch bei der Regierung von Dubai angekommen seien. Es war ein irritierend ungleichzeitiges Bild: eine ganz traditionell in eine tiefschwarze dishdasah gewandete Figur, die mit der launigen Plauderstimme eines ausgebufften Firmenmanagers spricht. Während hinter ihm die Schaubilder zu Synergieeffekten, Internet-gestützten Lösungen, Umlaufzeit-Reduzierung und ähnlichen Begriffen über einen Videoschirm huschten, beteuerte der Minister, dass man ihm, sollte sein e-government@Dubai nicht binnen 18 Monaten voll funktionsfähig sein, einen Tritt in den Hintern geben dürfe. Der Verteidigungsminister gab die übliche Wir-schaffen-es-Devise aus, die typischerweise auch nichts mit Fragen der Verteidigung zu tun hatte. Im Rahmen der aberwitzigen Machtstruktur der Vereinigten Arabischen Emirate (ein Erbe des britischen Empires) verbleibt den sieben Mitgliedstaaten eine weit gehende Autonomie. Dabei ist für die Verteidigung der VAE im Wesentlichen Abu Dhabi zuständig, das dank seiner Ölvorkommen das reichste der sieben Emirate ist. Für Dubai bestand das Hauptgeschäft dagegen schon immer im Geschäftemachen. Allerdings haben sich Umfang und Art der Geschäfte radikal verändert. Vor kaum mehr als einer Generation hatte Scheich Maktum bin Raschid, der Gründer der modernen Stadt Dubai, seinen Sitz am Ufer des Dubai Creek und kassierte ein paar Dirhems von den Fährbooten, die den Reisenden über den Meeresarm halfen. Unter Raschids Sohn Mohammed – der faktisch regiert, weil sich sein älterer Bruder als nomineller Herrscher mehr für seine Pferde als für öffentliche Angelegenheiten interessiert – ist Dubai heute zu einem internationalen Luftkreuz und vielleicht zu der am schnellsten wachsenden Stadt der Welt geworden. Doch mit der Entstehung dieser Stadt wurde zugleich eine nichtarabische Gesellschaft ins Herz Arabiens eingepflanzt. Bei einem jährlichen Bruttoinlandsprodukt von lediglich 16 Milliarden Dollar hat Dubai bei weitem nicht – oder jedenfalls noch nicht – die Bedeutung etwa von Singapur, dem es nachzueifern versucht. Aber es ist eine außerordentlich dynamische, ehrgeizige und erfolgreiche Stadt, die zahlreiche Superlative aufweisen kann. Diese Spitzenleistungen beziehen sich in der Regel auf alles, was die Maktum AG – wie Dubai auch genannt wird – vorzuzeigen hat: das größte und luxuriöseste Hotel der Welt in Gestalt des sagenhaften Borj al-Arab, das kürzlich auf einer künstlich aufgeschütteten Insel im Golf errichtet wurde, oder den größten von Menschenhand erbauten Hafen in der Freien Wirtschaftszone von Jebel Ali oder auch der größte Hochzeitskuchen der Welt. Am bedeutsamsten ist jedoch ein ganz anderer Rekord, der nicht an die große Glocke gehängt wird: Gemessen an der Zahl der Einwohner liegt der Anteil der Immigranten höher als irgendwo sonst in der Welt. In den gesamten VAE mit ihren 2,5 Millionen Einwohnern kommen auf einen einheimischen Bürger sieben Ausländer, die vorwiegend nichtarabischer Herkunft sind: 1,2 Millionen Inder, 600 000 Pakistani, 100 000 Iraner und Angehörige von zig anderen Nationen, darunter auch 50 000 Briten. Nimmt man dagegen die Stadt Dubai allein, beträgt der Anteil der einheimischen Bürger (bei etwas mehr als einer Million Einwohner) gerade einmal acht Prozent. Diese haben zwar die Exekutive und die Verwaltung fest in ihrer Hand, aber damit sind auch viele der einheimischen Arbeitskräfte an diese Funktionen gebunden. Im privaten Wirtschaftssektor dagegen beläuft sich ihr Anteil nur auf ein bis zwei Prozent. In diesem Bereich dominieren die Inder, und zwar am oberen wie am unteren Ende der Skala: am oberen besitzen und betreiben sie praktisch jedes zweite Geschäft, und ganz unten stellen sie den Großteil der gelernten und ungelernten Arbeiter. Den Einwanderern ist jede politische Betätigung streng verboten. Nicht dass sie dieses Recht besonders energisch einklagen würden, aber latente Ressentiments sind durchaus vorhanden. "Es geht uns schon ganz gut hier", meint ein indischer Gemüsegroßhändler, "aber es ist eben doch bitter, dass wir nicht einmal ein Haus kaufen können." Aber auch dieser Inder hat sich offenbar, wie alle anderen, mit der grundlegenden, stillschweigenden Übereinkunft zwischen Einheimischen und Einwanderern abgefunden, auf der die ganze Konstruktion basiert: Dubai ist zwar ganz bestimmt eine Global City, aber damit noch längst kein Schmelztigel, aus dem sich ein neues polyglottes Gemeinwesen entwickeln würde, vielleicht schon eher ein neuer Turm zu Babel. Einwanderer können ihre Familien nachholen, wenn sie mehr als 1 000 Dollar monatlich verdienen. Einige von ihnen sind sehr lange da und haben es zu großem Reichtum gebracht. Und immer mehr sind auch hier geboren. Aber sie können keine Staatsbürgerschaft erwerben, von seltenen Ausnahmen einmal abgesehen, über die das Herrscherhaus befindet. Selbst die erfolgreichsten Immigranten sind keine vollen Eigentümer der Geschäfte, die sie aufgebaut haben. 51 Prozent davon müssen sie an einen einheimischen Bürgen abtreten, obwohl der (wenn alles gut geht) lediglich als stiller Gesellschafter fungiert, der für seine "Mitarbeit" eine jährliche Provision bezieht. Paternalistische Regentschaft Aber auch die Staatsbürger Dubais haben politisch herzlich wenig zu sagen. Die Maktums betreiben ihren Stadtstaat nach Art von Patriarchen. Gewiss, es ist ein ausgesprochen mildes Regiment, politische Gefangene zum Beispiel gibt es nicht; aber eben auch keine Demokratie, keine Wahlen, keine politischen Parteien. Nach der Verfassung stehen die Einnahmen aus der Ölförderung dem Herrscherhaus zu. Doch ein staatliches Budget wird nie veröffentlicht. Es gibt zwar Intellektuelle, die dieses autoritäre System milde kritisieren, aber die Herrscherfamilie genießt die breite Zustimmung des Volkes, und Scheich Mohammed persönlich wird allgemein sehr verehrt. Der Scheich hat ein Team von mehr oder weniger gleich gesinnten, hervorragend ausgebildeten Managern um sich versammelt und kann – als ein Mann mit modernen Visionen und Entschlossenheit, dem zugleich alle traditionell überkommene autokratische Macht zu Gebote steht – erstaunlich rasch und geschickt Entscheidungen treffen und sie auch umsetzen. Was das schiere Familienvermögen betrifft, so dürften die Maktums wohl weniger besitzen als die meisten anderen Herrscherhäuser am Golf, aber sie investieren einen weit größeren Teil ihres Reichtums für konstruktive Ziele. Dass diese auch erreicht werden, dafür sorgt dann schon das unerschöpfliche Reservoir an fähigen ausländischen Arbeitskräften. Somit gebietet Scheich Mohammed über ein System und eine Gesellschaft, die mit ihrem multiethnischen Charakter ein einzigartiges Maß an Toleranz und Offenheit aufweisen. Von islamischem Fundamentalismus ist hier jedenfalls so gut wie nichts zu spüren. Die Einheimischen (Dubaier) sind zwar insgesamt zutiefst konservativ eingestellt und bleiben – sieht man von einer kleinen Elite ab – am liebsten unter sich. Aber ihr Alltagsmotto "Leben und leben lassen" wird nicht nur von Amts wegen propagiert, sondern auch tatsächlich praktiziert. Und auch der für Dubai typische Hedonismus wird keineswegs heimlich betrieben. Es gibt zahllose Restaurants und Gaststätten unter freiem Himmel, zahlreiche Bars und Nachtclubs und noch zahlreichere Prostituierte von überallher, die eigentlich illegal sind, aber stillschweigend toleriert werden. Der öffentliche Genuss von Alkohol ist lediglich am Geburtstag des Propheten von sechs Uhr morgens bis sechs Uhr abends verboten. Und nicht nur westliche Singles, sondern auch arabische Frauen können ohne weiteres allein ins Kino oder sogar in eine Disco gehen. Besucher aus Lille, Birmingham oder Baltimore finden sich hier – wie nirgends sonst auf der arabischen Halbinsel – inmitten einer beruhigenden Umgebung voll von Dingen, die ihnen von zu Hause vertraut sind. "Ich reise nicht in den Nahen Osten," meinte einmal ein steinreicher Vertreter des internationalen Großindustrie-Jetsets ohne jede Ironie, "aber gegen ein paar Tage in Dubai habe ich nichts einzuwenden." Dem internationalen Nimbus des Scheichtums entspricht die stetig expandierende moderne Infrastruktur, die trotz ihres hastigen Aufbaus großteils gut geplant und ausgeführt, und auch einigermaßen geschmackvoll gestaltet ist. Das macht Dubai zu einem Ort, an dem es sich, von den baulichen und sozialen Voraussetzungen her, ziemlich angenehm leben lässt. Die öffentliche Ordnung funktioniert, was sich zum Beispiel in einem disziplinierten Straßenverkehr ablesen lässt. Die Verwaltung ist, an den Maßstäben der Region gemessen, ungeheuer effizient und korruptionsresistent. Scheich Mohammed macht bei seinen Beamten unangemeldete Inspektionsbesuche, und wen er dabei untätig antrifft, der wird an die Luft gesetzt. Doch die größte Überraschung ist vielleicht die Entdeckung, dass Dubai grün ist. An einem der wasserärmsten Orte der Erde liegt der Wasserverbrauch pro Kopf fast viermal so hoch wie der Weltdurchschnitt. Dieses Wasser stammt fast ausschließlich aus Meerwasserentsalzungsanlagen und wird nach dem Gebrauch in den Haushalten in Kläranlagen gereinigt, um anschließend die künstlich angelegten Parks zu bewässern oder auch die vorbildlich begrünten Randstreifen der neuen vielspurigen Autobahnen. Und natürlich auch die Golfplätze, von denen die vier berühmtesten in den letzten zehn Jahren angelegt wurden. Sportveranstaltungen jeglicher Art gehören zu den vielen Attraktionen, mit deren Hilfe die Maktum AG ihr globales Image unentwegt aufzubessern und zu vermarkten sucht. Bei den nächsten Desert Classics wird der weltbeste Profigolfer Tiger Woods teilnehmen; der Dubai World Cup ist das höchstdotierte Pferderennen der Welt; in jeder Woche steigt ein bedeutendes internationales Ereignis; die Dubai Air Show zum Beispiel ist die drittgrößte Luftfahrtschau nach Paris und Farnborough. Diese Superlative von Dubai haben ohne Zweifel auch etwas von einer Spekulationsblase an sich. Kein Mensch kennt den tatsächlichen Stand der öffentlichen Finanzen. Und wenn der kosmopolitische Lack abblättert, kommen die lokalen Eigenheiten wieder zum Vorschein: Geschäftsleute klagen bisweilen, es sei wichtiger, die richtigen Leute zu kennen, als die richtigen Waren anzubieten. Und sie weisen darauf hin, dass Insider-Handel in Dubai nicht einmal als illegal gilt. Wenn ein Ausländer Bankrott macht, kann es ihm passieren, dass er ins Gefängnis wandert, weil es kein richtiges Konkursrecht gibt. Und die Gerichte halten Ausländer manchmal in den Schlingen eines Rechtssystems gefangen, das bei Verbrechen, aber auch bei Unfällen immer noch so archaische islamische Regelungen wie das Blutgeld kennt. Aber trotz dieser Schwachstellen verfügt die Global City Dubai über eine reelle ökonomische Substanz. Die besteht, im Unterschied zu allen anderen Ländern in der Region, nicht allein aus den Ölvorkommen, die ohnehin am Versiegen sind und heute nur noch sieben Prozent des BIP ausmachen. Es handelt sich vielmehr um ein diversifiziertes, organisches Wachstum, das auf vier Hauptpfeilern beruht. Der erste ist die Expansion des traditionellen Handels. Die Gebäude am Rande des Dubai Creek mögen einen futuristischen Anblick bieten, aber hier liegen auch immer noch die gedrungenen altmodischen Daus vor Anker, jene hölzernen Zweimaster, die dieselben Güter wie eh und je in den Iran, nach Indien oder nach Sansibar transportieren. Aber gleichzeitig ist Dubai mit seiner riesigen Freien Handelszone und dem mit Abstand meistfrequentierten Flughafen des Nahen Ostens zu einem der führenden Anbieter moderner Transportdienstleistungen geworden. Hier schafft man es in glatt vier Stunden, die Güter vom Schiff ins Flugzeug umzuladen. Zweitens haben Unternehmen aus aller Welt in Dubai ihre regionalen Nahostvertretungen angesiedelt, die zunehmend auch Afrika und Asien einschließlich der früheren Sowjetrepubliken abdecken. Der Herausgeber einer englischsprachigen Zeitung konstatiert, dass sich die Atmosphäre der internationalen Effektivität, die Dubai sich geschaffen hat, in jüngster Zeit extrem verdichtet: Jetzt wollen wirklich alle kommen. Von den Firmen, die das US-Magazin Fortune auf seiner globalen Hitliste führt, sind 90 Prozent schon da. Entsprechend gedeiht der dritte Faktor, der Tourismus: Vor zehn Jahren hatte Dubai 44 Hotels, heute sind es 257, und die neue Branche trägt bereits 16 Prozent zum BIP bei. Die Besucher kommen in Scharen, sogar im schwülen Hochsommer, wenn eine vollklimatisierte Glitzerwelt ihre Vorzüge voll zur Geltung bringt, wie etwa im berühmten und traditionsreichen Basar Gold-Suk, oder in den großen neuen Einkaufsgalerien, den billigsten der Welt. Und viertens geht Dubai nun also ins E-Business. Zeitgleich mit e-government@Dubai entsteht mitten in der Wüste – neben einem weiteren Golfplatz – eine rundum neue und steuerbefreite Offshore-Internet- und Multimedia-City (mit steuerfreier Ware). Hier werden die Schwergewichte der Branche wie Microsoft und Oracle ganz groß einsteigen. Zuweilen wird behauptet, ein Ort wie Dubai habe keine Identität und könne auch keine haben; er sei ja nur Durchgangsstation für Reisende, die gehen und kommen. Es mag durchaus sein, meint ein westlicher Diplomat, dass die Einheimischen hier weiterhin regieren werden, aber in kultureller Hinsicht könnten sie am Ende zum exotischen Überbleibsel im eigenen Lande verkümmern. Zwar versuchten sie mit allen Mitteln, ihren eigenständigen Charakter zu bewahren, indem sie zum Beispiel gemischte Ehen erschweren. Aber der Kampf werde auf lange Sicht durch die Gesetze von Handel und Kommerz entschieden. "Egal, was wir tun, wir stehen auf verlorenem Posten", meint ein einheimischer Akademiker. "Wenn wir die Zuwanderung von Arbeitskräften beschränken, kommt die Entwicklung zum Stillstand; Entwicklung hingegen bedeutet noch mehr Zuwanderung. Die Zahlen sind erschreckend. In unseren Krankenhäusern werden schon dreimal mehr indische als einheimische Kinder geboren." Und trotzdem wird nichts unternommen, um die Einwanderer einzubürgern. Von den Vereinigten Arabischen Emiraten ist Dubai als erstes der Welthandelsorganisation (WTO) beigetreten. Für die absehbare Zukunft ist man jedoch von der WTO-Verpflichtung befreit, wonach dem ausländischen Kapital die vollständigen Unternehmens- und Besitzrechte einzuräumen sind. Allenfalls wäre man zögernd bereit, gewissen Ausländern ein Residenzrecht einzuräumen – auf keinen Fall mehr und auch nur wirklich verdienten Bewerbern. So ist es Ausländern neuerdings erlaubt, sich in die neue Luxussiedlung Emirates Hills einzukaufen, deren 540 Villen jeweils auf 99 Jahre verpachtet werden. Aber das wird auf lange Sicht nicht reichen. Und irgendwann wird der Zeitpunkt kommen, zu dem eine ständig wachsende Immigrantenbevölkerung politische Forderungen stellt, die ihrer tatsächlichen Rolle und ihrem Gewicht entsprechen. Die Bürger von Dubai denken nicht gern darüber nach, wann es soweit sein wird. Und Scheich Mohammed hegt vermutlich die Hoffnung, man könne die Antwort auf solche Fragen umso länger hinausschieben, je produktiver und lohnender es für Einheimische wie Einwanderer wird, am Aufbau ihrer großen neuen Global City mitzuwirken. Aber je globaler diese City wird, desto einschneidender dürfte die Antwort aussehen, wenn sie am Ende fällig wird. David Hirst lebt als Journalist in Beirut. Deutsch von Niels Kadritzke