Inland
"Spitzelaffäre": U-Richter wirft Staatsanwaltschaft Behinderung vor
Jarolim sieht Richterschaft "im Würgegriff" - Pilz vermutet Verzögerungstaktik
Wien - Untersuchungsrichter Stefan Erdei hat in "News" schwere Vorwürfe gegen die Staatsanwaltschaft bei der Aufklärung der
"Spitzelaffäre" rund um die illegale Abfrage und Weitergabe von Daten aus dem Polizeicomputer EKIS erhoben. Erdei erklärt, er sei bei
seiner Aufklärungsarbeit massiv behindert worden, weil ihm Akten und Ermittlungsergebnisse vorenthalten worden seien. Eine Weiterarbeit an
dem Fall sei im Moment faktisch unmöglich. Der Sprecher der Staatsanwaltschaft Wien, Helmut Kellner, erklärte, es
handle sich "sicher" um massive Vorwürfe, doch "wir kommentieren diese Äußerungen nicht, wobei ich damit nicht unterstelle, dass diese
Aussagen so gefallen wären".
Kellner: "Ich kann weder bestätigen, noch dementieren, noch kommentieren". Aber wie reagiert die Staatsanwaltschaft, wenn ein
Untersuchungsrichter derartige Vorwürfe erhebt? - Kellner dazu: "Wir können uns nicht äußern. Wenn wir glauben, das ist ziemlich
unpassend, kann man das dem Disziplinargericht zur Mitteilung bringen". Man könne aber "die Äußerung nicht ungeschehen machen, wenn sie
gefallen ist".
Angesprochen auf den Stand des Verfahrens in der Spitzelaffäre sagte Kellner, es gebe "weiter Erhebungen, sowohl gerichtliche als auch
sicherheitsbehördliche". Was den Schlussbericht betreffe, der mit Februar oder März zu erwarten sei, sagte Kellner, Meldungen über einen
Zeithorizont habe es keine gegeben. Auch dazu könne er nichts sagen.
U-Richter Stefan Erdei meinte in "News", ihm seien "nur ungeordnete Teilergebnisse übergeben" worden. "Bei Durchsicht des gestern in fünf
Kartons übermittelten Aktes stelle ich fest: Eine erste Durchsicht ergibt, dass der (von der WiPol Wien und StA Wien) in den letzten Monaten
mehrfach medial angekündigte 'Schlussbericht' oder sonst eine als Vollanzeige zu wertende Aufstellung der Verdachtsfälle und deren
Zuordnung zu konkreten Verdächtigen sich nicht bei dem übermittelten Konvolut befindet. Insgesamt ergibt sich folgendes Bild: Offenbar
wurde von der WiPol eine Faktenliste angefertigt, die zumindest 42 Fakten aufzählt. Auch unter Berücksichtigung der bereits vorliegenden
Berichte und Ergebnisse liegen derzeit nur Unterlagen zu insgesamt 11 Fakten, somit zu knapp ein Viertel der offenbar von der WiPol Wien
angezeigten Fakten dem Gericht vor."
Erdei weiter: "Mangels Vorliegen eines Schlussberichts ist daher zumindest nicht in allen Fällen mit Sicherheit erkennbar, welche Handlungen
einzelnen Verdächtigen nach Abschluss der Erhebungen tatsächlich zur Last gelegt werden. Die nunmehr gestellten Anträge der
Staatsanwaltschaft Wien verweisen nur auf die mitgelieferten Urkundenkonvolute und enthalten keine Darstellung des als rechtswidrig
verdächtigen Verhaltens."
Erdei selbst war auf Anfrage der APA zunächst nicht erreichbar. Was die Spitzelaffäre betrifft, hatte es zuletzt geheißen, dass von den
insgesamt acht Wiener AUF-Polizisten (Aktionsgemeinschaft Unabhängiger und Freiheitlicher), die im Zug der Spitzelaffäre suspendiert
worden waren, fünf weiterhin außer Dienst gestellt bleiben.
SPÖ fordert Stellungnahme Böhmdorfers und U-Ausschuss
SPÖ-Bundesgeschäftsführerin Andrea Kuntzl hat angesichts der Vorwürfe des Untersuchungsrichters Stefan Erdei gegen die
Staatsanwaltschaft in Sachen Spitzelaffäre eine Stellungnahme von Justizminister Dieter Böhmdorfer (F) verlangt. Sie bekräftigte am Mittwoch
auch ihre Forderung nach Einsetzung eines Untersuchungsausschusses in dieser Angelegenheit.
"Sollte es tatsächlich zu Behinderungen bei der Aufklärungsarbeit in der Spitzelaffäre gekommen sein, stellt sich auch die Frage, ob dies in
einem Zusammenhang mit den Wiener Gemeinderatswahlen steht", so Kuntzl.
Landesgericht weist "Skandal"-Bericht zurück
Der Sprecher des Landesgerichts für Strafsachen Wien, Friedrich Forsthuber, hat Berichte von "News" über eine von
Untersuchungsrichter Stefan Erdei behauptete Behinderung der Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit der Spitzelaffäre als haltlos
bezeichnet. Forsthuber erklärte am Mittwoch, es handle sich im Gegensatz zu dem "News"-Bericht weder um einen
Justizskandal noch um einen Geheimbericht. Es gehe lediglich um "Auffassungsunterschiede" zwischen dem U-Richter und der
Staatsanwaltschaft, was an Unterlagen und Fakten noch für den Schlussbericht der Spitzelaffäre notwendig sei. "Hinter dem höre ich nicht das
Gras wachsen", so Forsthuber.
Erdei habe keineswegs einen Geheimvermerk angelegt, sondern im Akt vermerkt, welche Teile des Schlussberichts nicht mit den Anträgen
der Staatsanwaltschaft mit übermittelt worden seien. Damit solle kein justizinterner Skandal aufgedeckt werden, sondern der U-Richter wollte
nur seine Auffassungsunterschiewde über die für die beantragten Vernehmungen erforderlichen Unterlagen darlegen. Dieser Aktenvermerk "ist
somit ganz normaler Bestandteil des Aktes, der nicht nur unverzüglich der Sta Wien übermittelt wurde, sondern bereits von Verteidigern
eingesehen wurde. Alles andere sind ebenso reine journalistische Spekulationen wie die Behauptung, der Aktenvermekr liegt News exklusiv
vor", so Forsthuber.
Auch der vom Grünen Abgeordneten Peter Pilz angesprochene Manipulationsverdacht sei nicht gegeben: "Um Gottes Willen". Auch der
Vorwurf der Behinderung stimme nicht.
Sturm im Wasserglas
Der Leiter der Staatsanwaltschaft Wien, Erich Wetzer, hat Berichte über einen "Justizskandal" in der Spitzelaffäre entschieden
zurückgewiesen. Im Gespräch mit der APA sagte Wetzer am Mittwoch, es gebe keine Probleme. Man könne vielleicht von "inhaltlichen
Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Untersuchungsrichter und uns" sprechen, aber diese seien "zulässig". Insgesamt handle es sich um
einen "Sturm im Wasserglas".
Zu den Schritten, die U-Richter Stefan Erdei vorzunehmen habe, meinte Wetzer, "es ist ihm nichts vorenthalten worden". Die derzeit dem
U-Richter nicht übermittelten Erhebungsergebnisse der Sonderkommission würden Fakten betreffen, die nicht von den gerichtlichen
Vorerhebungsschritten betroffen seien. Die nicht Erdei übermittelt Aktenteile "befinden sich derzeit zusammen mit dem nach dem StA-Gesetz
vorgesehenen Bericht der Staatsanwaltschaft Wien bei den zuständigen Oberbehörden". Nach Rücklangen dieser Akten sollen diese
vollständig dem Untersuchungsrichter übermittelt werden. Die gewählte Vorgangsweise diene jedenfalls der Verfahrenbeschleunigung.
Wetzer: "Es geht irgendwie auch um eine Abgrenzung zwischen Vorerhebung und Voruntersuchung. Der U-Richter, der die Voruntersuchung
macht, ist dort Herr des Verfahrens. Bei Vorerhebungen ist es der Staatsanwalt. Da dürfte es ein bissl Meinungsverschiedenheiten zwischen
uns und dem U-Richter geben".
Eingreifen der Richtervereinigung gefordert
Als "atemberaubend und unerhört" bezeichnete SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim die jüngste Entwicklung in der
"Spitzelaffäre". Es sei "mehr als beklemmend, zu beobachten, dass ein unabhängiger Richter offenbar massiv und völlig unverhohlen an einer
effizienten Strafverfolgung behindert wird", so Jarolim am Mittwoch gegenüber der APA. "Untolerierbar" sei es, dass die Richterschaft in
einem entwickelten Rechtsstaat "dermaßen in den Würgegriff genommen" werde.
Jarolim forderte Justizminister Dieter Böhmdorfer (F) auf, als oberster Weisungsgeber der Staatsanwaltschaft unverzüglich alle Maßnahmen
zu setzen, um die Öffentlichkeit über die jüngsten Vorfälle und den Anlass für den "richterlichen Notruf" von Untersuchungsrichter Stefan
Erdei zu informieren. Die Standesvertretung der Richter sollte "ihren Teil dazu beitragen, den offenbar auf einzelne Mitglieder ihres Standes
ausgeübten Druck abzuwehren".
"Es wird notwendig sein, dass die grauen Schleier um diese unfassbaren Vorgänge schleunigst gelüftet werden und unverzüglich jene
Personen, die diese Behinderungen verursacht haben, die nötigen Konsequenzen ziehen", erklärte Jarolim. Noch selten seien in einem
Strafverfahren in derart massiv gehäufter Form die unterschiedlichsten "Auffälligkeiten" aufgetreten. Das Vertrauen in den Rechtsstaat werde
dadurch "erheblich erschüttert".
Pilz vermutet Verzögerungstaktik
Der Grüne Nationalratsabgeordnete Peter Pilz vermutet hinter der unvollständigen Aktenweitergabe der Staatsanwaltschaft Wien an Untersuchungsrichter Stefan Erdei in der Spitzelaffäre Verzögerungstaktik. Erdei hatte sich in einem in "News" veröffentlichten Aktenvermerk darüber beschwert, dass dem Gericht lediglich elf von 42 "Faktenkreisen" vorliegen. Der immer wieder angekündigte Schlussbericht der Wirtschaftspolizei über die Ermittlungen findet sich demnach nicht unter den Akten.
Damit ist laut Pilz sichergestellt, dass Erdei vor der Wiener Wahl am Sonntag keine "ordentliche" Einvernahme des FP-Chefs Hilmar Kabas und seines Parteisekretärs Michael Kreißl vornehmen könne. Außerdem habe man offenbar alles getan, um die Behandlung der Spitzelaffäre durch ein unabhängiges Gericht zu verhindern, meinte Pilz. Ein Ende Februar eingebrachter Antrag des Rechtsanwaltes Richard Soyer auf Einleitung einer Voruntersuchung sei jedenfalls abgelehnt worden.
Es gehe ihm nicht um die Vorverurteilung von Justizminister Dieter Böhmdorfer (F) oder der Staatsanwaltschaft, der der Schlussbericht der Wirtschaftspolizei vorliegen müsse, meinte Pilz. Zur Klärung der Abläufe müsse allerdings ein Untersuchungsausschuss im Parlament eingerichtet werden. Andernfalls drohe der Justiz Vertrauensverlust.
Ein entsprechender Antrag liege bereits bei ihm "in der Schublade" und werde bei der nächsten Plenarsitzung des Nationalrates eingebracht, kündigte Pilz an. Er habe jedenfalls schon zahlreiche Gerichtsakten gesehen, ein Aktenvermerk "dieser Art und Weise" sei ihm allerdings noch nie untergekommen. Das Parlament müsse den Hilfeschrei eines U-Richters ernst nehmen. (APA)