Wolfgang Routil

Bei Hunderttausenden Eingriffen in den österreichischen Spitälern bewegt sich die Fehlerquote im Hundertstel-Prozent-Bereich. Das ist die eine Seite.

Jeder dieser Fehler verursacht unermessliches Leid bei den Betroffenen und deren Angehörigen. "Wieder gut zu machen" im Wortsinn ist ein Behandlungsfehler nicht - die Folgen können nur gelindert oder durch ein Schmerzensgeld ausgeglichen werden. Das ist die andere Seite.

Dass Fehler im medizinischen Bereich irreversibel sind, ändert nichts daran, dass in Krankenhäusern Menschen arbeiten, die Fehler machen. Die massiven Folgen von Fehlern erklären aber die weitaus höhere Verantwortung, die im Spitalsbereich besteht.

Darum ist es gut, dass Behandlungsfehler, mögen sie auch Einzelfälle sein, zum Anlass für eine grundlegende Qualitätssicherungsdebatte genommen werden. Jeder Einzelfall ist ein exemplarischer Fall - aus dem gelernt werden kann, nein muss. Eine unter dem Sensationsaspekt spekulativ geführte Behandlungsfehlerdebatte ist andererseits nachhaltig vertrauenszerstörend. Sie zerstört das Vertrauen, das die in Krankenhäusern tätigen Menschen dringend brauchen, um ihre Arbeit richtig machen zu können. Sie ängstigt kranke Menschen, deren Vertrauen in die Behandlung ein wesentlicher Teil des Erfolges ist.

Darum muss die Debatte mit Augenmaß und Verantwortungsgefühl geführt werden. Bloß: Wie tut man das? Kann es (künftigen) Patienten verübelt werden, wenn sie besonders sensibel auf Fehler in einem Bereich reagieren, von dessen Fehlerlosigkeit ihre Gesundheit, vielleicht sogar ihr Leben abhängt? Kann man es Medien verübeln, wenn sie sich zu lautstarken Vermittlern solcher Gefühle machen? Wohl kaum.

Wir können nur um Nüchternheit ersuchen. 234.000 stationären Aufnahmen etwa in den steirischen Landesspitälern standen im Jahr 1998 rund 90 Fälle entgegen, bei denen möglicherweise Fehler passiert sind. Das sind knapp 0,04 (vier Hunderstel) Prozent. Die nahezu 600.000 ambulanten Behandlungen sind dabei noch gar nicht berücksichtigt. Es sollen noch weniger Fehler werden. Durch Qualitätssicherung.

Wichtige Schritte dazu wurden in der Steiermark bereits gesetzt. Wir Ärzte machen nicht mehr zehn bis 15, sondern in der Regel nur fünf bis sechs Nachtdienste pro Monat. Die ärztliche Arbeitszeit von 100 Wochenstunden und mehr haben wir durch die Umsetzung des Arbeitszeitgesetzes auf ein erträgliches Maß reduziert. Die Einrichtung der Stationsarztstellen trägt zu einer besseren Kommunikation zwischen Patienten und Ärzten bei.

Dass dieses brauchbare Krankenhaus-Arbeitszeitgesetz zwar österreichweit gilt, aber noch nicht österreichweit wirksam ist (vgl. untenstehenden Kommentar), wurde von uns Ärzten wiederholt angeprangert - Politiker, die sich profilieren wollen, brauchen also nicht anlassbezogen neue Forderungen zu erfinden. Es hilft schon, wenn sie sich für die Erfüllung der bestehenden beharrlich genug einsetzen.

Die Österreichische Ärztekammer hat mit der Einführung von Lehr- und Lernzielkatalogen für Turnusärzte und dem Diplom-Fortbildungs-Programm eine Aus- und Fortbildungsstruktur geschaffen, die europaweit Beachtung findet. Noch mehr ist möglich: Eigene Ausbildungsverantwortliche würden die Qualität der Turnusärzte-Ausbildung stärken. Die Schaffung so genannter medizinischer Dokumentare könnte die Arbeit mit den Patienten von deren Dokumentation trennen - damit mehr Zeit und gleichzeitig mehr Qualität in beiden Bereichen schaffen. Mehr Zeit für Fortbildung ist auch der Wunsch von uns Ärzten.

Daraus folgt: Qualitätssicherung geht nicht ohne Quantitätssicherung. Eine ausreichende Zahl von ärztlichem, medizinisch-technischem und Pflegepersonal ist die Voraussetzung für qualitätssichernde Begleitmaßnahmen. Kleine Spitäler mit einer dünnen Personaldecke sind von Vornherein benachteiligt. Vollmundige Standortgarantien der Politik greifen zu kurz: Nur gemeinsam mit Kapazitätssicherungsgaran- tien sind sie glaubwürdig und gesundheitspolitisch sinnvoll.

Daran sollten wir uns erinnern, wenn der aktuellen Qualitätsdebatte in nächster Zeit wieder die unvermeidliche Kosten- und Spardiskussion folgt.

Dr. Wolfgang Routil ist Präsident der Ärztekammer Steiermark und Bildungsreferent der Österreichischen Ärztekammer.