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Foto: apa/sarembo
Wien - Zwei grundlegende Missverständnisse, meint der auf Sicherheitspolitik spezialisierte US-Politologe Richard Harknett, seien über das neue US-Raketenabwehrsystem im Umlauf: Dass es eine Fortsetzung von Ronald Reagans "Star Wars"-Projekt sei und dass es einen neuen US-Isolationismus widerspiegle. Beides, so der in Cincinnati, Ohio, lehrende Wissenschafter, treffe nicht zu. Das "Missile Defense"-Projekt sei von weit beschränkteren Dimensionen als Reagans Vorhaben, und es bringe gerade das Gegenteil einer isolationistischen Haltung zum Ausdruck, nämlich das Bestreben, auf einer internationalen Ebene mit dem Problem von Massenvernichtungswaffen umzugehen. Die US-Regierung werde auf jeden Fall einen Konsultationsprozess mit den Europäern und den Russen beginnen und diesen die Möglichkeit eröffnen, auf "das Was, Wann und Wie" dieses Abwehrsystems einzuwirken. Harkness, der in Wien in der Landesverteidigungsakademie über das neuerdings unter "Missile Defense" (MD) firmierende Abwehrprojekt sprach - ein ursprünglich vorangestelltes "National" wurde aus dem Begriff eliminiert, um den Verdacht bloß eigensüchtiger amerikanischer Motive zu zerstreuen -, glaubt, dass das Raketenabwehrsystem wohl überhaupt erst frühestens im Jahr 2007 konkretere Formen annehmen werde, und auch dies gelte nur für die landgestützte Abwehr, die von der Regierung Clinton am weitesten vorangetrieben worden sei. Die Grundsatzfrage, ob es technisch möglich sei, "ein Geschoß mit einem anderen abzuschießen", beantwortet Harknett mit Ja. Man müsse aber bedenken, dass im konkreten Bedrohungsbild, bei dem Massenvernichtungswaffen im Spiel sind, "eine Trefferquote von 70, 80 Prozent nicht ausreichend ist", d. h., das System muss annähernd perfekt sein, wenn es überhaupt Sinn machen soll. Entsprechend viel wird es kosten. Die Schätzung, dass allein das bodengestützte System 60 Milliarden Dollar kosten werde, sei die unterste Grenze. Zum sicherheitspolitischen Profil der jetzigen Regierung meint Harknett, dass Bush "viel mehr auf eine Strategie des informellen Austausches im Krisenmanagement" setzen werde als sein Vorgänger Bill Clinton, der ein viel interventionistischeres Gebaren an den Tag legte und mit Madeleine Albright einen dezidierten "Falken" als Außenministerin hatte. Sowohl Verteidigungsminister Rumsfeld als auch Vizepräsident Cheney neigten zu der Ansicht, dass beim US-Militär ein grundlegender Umbau anstehe, dass es viel flexibler im Sinne eines "Netzwerkmilitärs" werden müsse. Daher werde wohl ein Modernisierungssprung beim "klassischen" Kriegsmaterial (Flugzeuge, Kriegsschiffe) zugunsten neuer computer- und satellitenbasierter Systeme ausfallen müssen. (DER STANDARD Print-Ausgabe, 22. 3. 2001)