Inland
Nichtwähler wählen "parallel"
Wahlurnen auf drei Märkten
Wien - Mittlerweile darf Jose Chico Reyes
wählen. Der gebürtige Chilene ist Österreicher. "Es gibt viele Menschen, die die österreichische Staatsbürgerschaft nicht annehmen können", erklärt der vor über 20 Jahren
nach Wien geflüchtete Südamerikaner, "manche fürchten Druck auf ihre zurückgelassenen
Familien, bei anderen gibt es Probleme bei der
Ausbürgerung".
Echte Wiener, so Reyes, wären diese Leute
allemal: Wenn das, was amtlich "Mittelpunkt
der Lebensinteressen" heißt, in Wien läge, gäbe es "nach drei Jahren" keinen Grund, die
Mitsprache zu verweigern: "Es ist nicht nur
eine Schande, wenn Leuten, die 30 Jahre und
länger hier leben, das Wählen verboten wird,
es ist auch schlecht für das Zusammenleben."
Der Chilene plaudert das nicht einfach so
dahin. Reyes ist Obmann des BDFA. Das steht
für "Bunte Demokratie für Alle" und ist der
Name einer Gruppe, die sich für politische
Rechte von Migranten einsetzt.
Immerhin leben in Wien rund 280.000
nicht-österreichische Staatsbürger. "Fast jeder
Fünfte, darf nicht mitwählen," empört sich
Ljiljana Milosavljevic. Die gebürtige Jugoslawin, ebenfalls seit 20 Jahren in Wien und
mittlerweile Österreicherin, vertritt mit Reyes
das Projekt "Parallelwahl": Am Samstag werden auf drei Märkten Wahlurnen stehen, bei
denen Nicht-Berechtigte "wählen" können.
Die Parallelwahl fand 1996 schon einmal
statt, über 1500 Personen beteiligten sich daran. Das Ergebnis? "Es ging um den Symbolcharakter." Es gehe, so Reyes, aber auch nicht
darum, am Samstag die Sonntagsfrage zu
stellen. "Wir wollen damit aufzeigen, dass das
Bedürfnis mitzureden da ist." Und zwar im
Rahmen des vorhandenen Parteienspektrums.
"Wir wollen nicht als Ausländer-Liste antreten, das wäre eine Trennung in ,ihr’ und ,wir’."
Die Parallelwahl findet am 24. März von 9 bis
16 Uhr am Naschmarkt, dem Meiselmarkt und
dem Brunnenmarkt statt. (DerStandard, Print-Ausgabe, 22.3.2001)