In Deutschland geht eine "Patriotismusdebatte" um. Ausgelöst wurde sie vom grünen Umweltminister Jürgen Trittin. Der wiederum reagierte auf einen Satz des CDU-Generalsekretärs Laurenz Meyer: "Ich bin stolz, ein Deutscher zu sein", hatte Meyer erklärt, worauf ihm Trittin bescheinigte, dass er offensichtlich nicht nur wie ein Skinhead aussehe (Meyer trägt Glatze), sondern auch wie ein solcher denke. Es folgten erregte Stellungnahmen von Unionspolitikern, denen erregte Stellungnahmen von Sozialdemokraten folgten. Dass Bundespräsident Johannes Rau (SPD) versuchte, mäßigend zu wirken, verringerte die Erregung nicht nur nicht, sondern ließ den CSU-Generalsekretär Thomas Goppel sogar die Killerfrage stellen, ob denn einer, der nur über sein Deutschsein "froh", nicht aber auf sein Deutschsein "stolz" sei, überhaupt 80 Millionen Deutsche "angemessen" vertreten könne. Dass der Präsident sich zu der Kompromissformel herbeiließ, er sei "gerne" Deutscher, bekam ihm freilich auch nicht gut: Die strengen Aufklärer unter den Feuilletonisten diagnostizierten einen glatten Kniefall vor den dumpfen Chauvis. Der österreichische Beobachter hat zunächst mit anschwellender Schadenfreude zu kämpfen: Das Schwachsinnsmonopol in Sachen Patriotismus, das sich Österreich im Zuge der "Schulterschluss"- und "Vernaderer"-Debatte aufgebaut hatte, ist endlich gebrochen. Der Wortmüll, der da aus allen Medienkanälen quillt, ist rasch geordnet: Jawohl, es ist ein Schwachsinn, stolz auf sein Deutschsein zu sein. Jawohl, es ist noch schwachsinniger, jemandem, der stolz auf sein Deutschsein ist, unter Anwendung von Skinhead-Denkmustern eine Skinhead-Mentalität zu unterstellen. Jawohl, man sollte zwischen Nationalismus und Patriotismus unterscheiden. Jawohl, der Nationalismus, der auf Blut und Boden basiert, ist ausgrenzend, während der Patriotismus, der auf Staat und Verfassung basiert, verbindend ist. Jawohl, gerade wenn die Deutschen das Nationale wiederentdecken, erwachen bei den Nachbarn Ängste, die man aus historischen Gründen gut verstehen kann. Wir wissen das alles nicht erst seit gestern. Was wir aber noch immer nicht wissen, ist, wie mit dem politischen Grundsatzkonflikt umzugehen wäre, der sich unter der Oberfläche dieser Debatte verbirgt: Es sagt sich so flott, dass jeder, der sagt, er sei "stolz, ein Deutscher zu sein", automatisch "in der Reihe der Glatzen und ihrer braunen Vorfahren" steht, wie Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung dekretierte. Aber ist es wirklich klug, all jene von Globalisierung und Ökonomisierung Überforderten, die in der Rückbesinnung auf das, was sie unter "nationaler Identität" verstehen, Sicherheit und Geborgenheit suchen, taxfrei ins Skinhead-Lager zu stecken? Könnte es nicht sein, dass der aufklärerisch befohlene Rückzug der Parteien des rechten Spektrums aus dem weiten Feld des nationalen Sentiments den "Glatzen und ihren braunen Vorfahren" mehr Raum lässt, als der Gesellschaft gut tut? Deutsch zu sein bedarf es wenig, könnte man in Abwandlung eines alten Liedtextes sagen, und wer's nicht braucht, ist ein König: Natürlich wünschen wir uns alle eine Gesellschaft von aufgeklärten Individuen, die sich ihren Platz in einer entgrenzten Weltgesellschaft selbstbewusst suchen. Was tun aber mit denen, die das nicht können? Die Gefahr, dass der Versuch, auch an den Rändern der Gesellschaft auf die Bindekraft von demokratischen Parteien zu setzen, in billigen Populismus, in kalkulierte rassistische Anspielungen zur Gewinnung von Wählerstimmen auch jenseits dieses Randes kippt, ist groß. Wer wüsste das besser als wir Österreicher. Wer aber einen solchen Versuch von vornherein als Rückfall in die "braune Vergangenheit" diskreditiert, muss sich fragen, ob er nicht jener Ausgrenzungsmechanik unterliegt, die er dem politischen Gegner ankreidet. (DER STANDARD Print-Ausgabe, 22. 3. 2001)