“Eigentlich unerträglich, dieser Zustand”, kommentiert eine Journalistin die Rechtsunsicherheit, die sich aufgrund der Pleiten und Pannen von Schwarz-Blau, zuletzt bei Ambulanzgebühren und Pensionsreform, breit machen. Der Verfassungsgerichtshof fungiert zwar als Rettungsanker, aber wie sicher ist wenigstens der theoretische Boden im Vorfeld? Beispiel: Bundespräsident. Kaum ein Wahlkampf, in dem nicht seine verfassungsrechtliche Stellung, seine Kompetenzen bis hin zur Abschaffung der Funktion =diskutiert werden. Dann wird es still - bis zum nächsten Anlass. Als die FPÖ im Frühjahr des vergangen Jahres mit der kniefälligen Unterstützung der ÖVP einen ihrer systematischen Anschläge auf die Demokratie und das Denkvermögen der BürgerInnen ausheckte und eine Volksbefragung zu den Maßnahmen der EU-14 durchführen wollte, ging es wieder um die Kompetenzen des Bundespräsidenten. Viele - auch ich - waren der Auffassung, dass der Präsident eine Befragung auf Basis der vorgeschlagenen hanebüchenen und verfassungswidrigen Vorlage nicht anordnen dürfe. Die Expertenmeinungen darüber waren allerdings geteilt - nicht so sehr was die Unseriosität und Polemik der Fragestellung betraf, sondern welche Möglichkeiten dem Bundespräsidenten in einer solchen Situation überhaupt zustünden. Eine Klärung ist bis heute nicht erfolgt und da der =Kelch am Bundespräsidenten (und uns) mangels Antragstellung vorbei gezogen ist, hat sich in weiterer Folge niemand mehr (zumindest öffentlich) den Kopf zerbrochen. Nun ist der Bundespräsident erneut ins Gerede gekommen: Er hat das verfassungsmäßige Zustandekommen eines Gesetzes beurkundet, obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt war, dass Prinzhorn die Abgeordneten über Anträge hat abstimmen lassen, die gar nicht vorgelegen waren. Die Beurteilung für den Bundespräsidenten war sicher nicht leicht und der Druck zu unterschreiben groß. Wer hätte von Klestil anderes erwartet, als er getan hat? Aber darum geht es mir gar nicht. Es geht darum, endlich eine Verfassungsdebatte vom Zaun zu brechen, durch die Klarheiten geschaffen und Neuordnungen getroffen werden. Es ist z.B. unnötig, dass der Bundespräsident Parlamentssessionen einberuft, dafür soll er aber nicht Unfug anordnen “müssen”, der dann im nachhinein vom VfGH als solcher erkannt wird, eine in der Verfassung verankerte Opposition würde möglicherweise ein moderneres Demokratieverständnis befördern helfen, der Bestellungsvorgang der Volksanwälte müsste nicht jeweils im nachhinein bejammert werden, die Föderalismusdebatte könnte sich von ihrer Sommerlochfunktion emanzipieren, die Sorge vor dem nächsten Coup dieser Regierung wäre leichter zu ertragen. Aber welche der derzeit im Parlament vertretenen Parteien hat Interesse an unspektakulären, unpopulistischen, die Bevölkerung wenig interessierenden aber dafür für die Demokratie umso wichtigeren Debatten?