Washington - Die Mitarbeiter von Microsoft lesen derzeit am liebsten das Enthüllungsbuch "Die Microsoft Akte - der geheime Fall gegen Bill Gates". Bei der New Yorker Brokerfirma Charles Schwab stehen die "Erinnerungen einer Geisha" ganz oben auf der Bestellliste, und die Beschäftigen des Halbleiterproduzenten National Semiconductors vergnügen sich mit "101 Nights of Grrreat Sex". Herausgefunden und enthüllt hat das Amazon.com, die weltgrößte Internet-Buchhandlung. Das Unternehmen hat mit dieser neuen Form der Datenausbeutung gleichzeitig eine neue Debatte über Datenschutz im Internet ausgelöst.Ausgeklügelte Software Mit Hilfe einer ausgeklügelten Software können die Amazon-Computer in Seattle Bestsellerlisten für bestimmte Regionen, aber eben auch für große Unternehmen oder Universitäten herausfiltern. Seit das Unternehmen die so ausgewerteten Bestelldaten seiner zehn Millionen Kunden nicht nur für eigene Marketingzwecke nutzt, sondern sie auf seiner Website für jeden Internetnutzer zugänglich macht, ist die Aufregung in den USA groß. "Es ist, als ob 1984 begonnen hätte" "Das ist empörend", befand eine Sprecherin der amerikanischen Buchhändlervereinigung. "Es ist, als ob 1984 begonnen hätte. Was Leute lesen, darüber denken, die Ideen, mit denen sie sich beschäftigen, sollte völlig vertraulich sein. Mit Amazon.com ist es das nicht mehr." Amazon.com veröffentlicht allerdings keine personenbezogenen Daten, obwohl die Computer auch diese parat haben. Das Unternehmen stuft das neue Angebot hauptsächlich als "Spass" ein. Doch könnten die Listen auch bei Kaufentscheidungen helfen, meint Amazon-Sprecher Paul Capelli: "Wenn Du siehst, dass viele in Deiner Umgebung oder in Deiner Firma ein bestimmtes Buch kaufen, möchtest Du es vielleicht auch haben". Neuer Sprung der Datenausbeutung Branchenbeobachter sehen mit dem Amazon.com-Vorstoß eine neue Stufe der Datenausbeutung im Internet erreicht. Selbst ein Branchenriese wie der Großbuchhändler aus Seattle macht, wie die meisten Internetunternehmen, mit seinen eigentlichen Produkten keinen Gewinn. Die Strategie lautet, die gesammelten Daten so effektiv wie möglich auszuschlachten. Doch es könnte auch sein, dass dabei Grenzen erreicht werden, die von der Sorge vieler Menschen um ihre Privatsphäre gesetzt werden. Amazon habe bei nicht wenigen Kunden Ablehnung ausgelöst, sagt Donna Hoffmann, e-commerce-Expertin ander Vanderbilt Universität: "Ich wusste nicht, dass sie das mit meinen Daten machen, und ich wüsste nicht, dass ich es ihnen erlaubt habe", sei eine weit verbreitete Reaktion gewesen. Amazon.com reagierte schnell: Die Firma bietet ihren Kunden nun ausdrücklich an, per e-mail die Weiterverwendung ihrer Daten auszuschließen. Firmen können sich ebenfalls von den Bestsellerseiten streichen lassen. Die verlieren damit freilich viel von ihrem Reiz, weil niemand weiß, wie viele Beschäftigte eines Unternehmens oder Kunden in einer Stadt ihre Bestellungen lieber für sich behalten möchten. Aber: "Wir dürfen keine Umgebung schaffen, in der die Leute Angst haben, online zu gehen", sagte ein Amazon-Manager zu der Entscheidung. Denn das wäre das Ende des Internet-Booms.(APA/dpa)