Peter Ruzicka spricht druckreif. Und der gelassene Tonfall, in dem er seine Argumente vorträgt und seine Sache vertritt, verströmt die gelassene Würde des Hanseaten. Elf Jahre an der Spitze der Hamburger Staatsoper (1986-1997) sind am Sohn österreichischer Eltern nicht spurlos vorübergegangen.
Doch der Schein trügt: Im soignierten Manager, dem man gerne unverbindliche Glätte nachsagt, hat man noch nicht den ganzen Ruzicka vor sich. Ähnlich wie sein Vorgänger auf dem Hamburger Intendantensessel, Rolf Liebermann, hat er sich auch als Komponist einen Namen gemacht. Sein vor neun Jahren entstandenes drittes Streichquartett . . . über ein Verschwinden ist nicht nur ein ebenso berührender wie diskreter Epitaph auf den Tod seiner Mutter, es mag auch als schlüssiges Klangdokument dieser beinah anachronistisch wirkenden Doppelexistenz gelten:
Nach dem souverän absolvierten Protokoll, mit dem Ruzicka in den beiden ersten Teilen Phänomene und Phoneme der Moderne bald verschwiegen, bald überraschend virtuos managt, schämt er sich im Schlussteil nicht der melodischen Direktheit und chromatischer Wehmut. Doch auch in diesen Augenblicken setzt Ruzicka auf unantastbare Qualität. Der Lieferant der Erschütterung heißt Gustav Mahler. Im Adagissimo seiner Neunten Sinfonie hat er sie vorformuliert.
Und Paul Celan ist schließlich auch keine schlechte Marke. Schon Ende der 60er-Jahre vertonte er die Todesfuge. Für Dietrich Fischer-Dieskau schrieb er den 1986 den Zyklus . . . der die Gesänge zerschlug, dem vor vier Jahren noch der Celan-Zyklus . . . Inseln, Randlos . . . folgte.
Begegnung mit Celan
Also hinreichend Gelegenheit um festzustellen, dass sich Lyrik, die sich so weit ins Musikalische wagt wie jene Paul Celans, eigentlich nicht vertonen lässt. Ruzicka hat aus dieser Einsicht die Konsequenzen gezogen: In Peter Mussbachs Text zu Celan, diesem "Musiktheater in sieben Entwürfen", wird man Paul Celan wörtlich vergeblich suchen. Dafür begegnet man Celan persönlich gleich dreifach - als Kind, als Dreißig- und als Fünfzigjährigem.
Und als Fünfzigjährigen hat ihn Peter Ruzicka anlässlich eines Besuches in Berlin noch persönlich kennen gelernt, doch den psychischen Ausnahmezustand, in dem sich der Dichter (kurz vor seinem Selbstmord) befand, nicht erkannt. Trotzdem ist das nach Ruzickas Erinnerung "wortarme Gespräch", das sich damals ergab, für ihn von prägender Bedeutung gewesen.
Sieht der in der verdrängungsfrohen Bundesrepublik der Nachkriegszeit aufgewachsene Komponist doch in Paul Celan das (schlechte) Gewissen der deutschen Nation. In einer nicht endenden Todesfuge erinnert Celans Werk alle Meister aus Deutschland (und Österreich) immer wieder an den Holocaust, in dem Ruzicka die nie heilende Wunde des vergangenen Jahrhunderts erkennt.
Dies ist auch das eigentliche Motiv für Ruzickas immer wieder von Neuem einsetzendes obsessives Kreisen um Celans Werk, das nun in seinem ersten Versuch für das Musiktheater seinen Höhepunkt findet. Durch die singuläre Dichterpersönlichkeit, der das Werk gilt, hält Ruzicka Celan für immun gegen allfällige Einwände aus Richtung Finkelstein.
Im Gegenteil. Ein Komponist darf nach Ruzickas Ansicht seinen gesellschaftlichen und politischen Standpunkt nicht verleugnen. In den fremdenfeindlichen Übergriffen, die sich in jüngster Zeit in der Nähe von Dresden zugetragen haben, sieht er Celan nicht nur bestätigt, sondern sogar eingeholt.
Ob er allerdings in absehbarer Zeit wieder ein Werk für das Musiktheater schreiben wird, ist sich Ruzicka nicht so sicher. Bisher hat er sich (ähnlich wie Gustav Mahler) die Sommermonate für das Komponieren freigehalten. Doch jetzt in Salzburg ist es mit den ruhigen Sommern fürs Erste einmal vorbei. Nun hofft Ruzicka auf einen ruhigen Herbst und die Stille des Winters.
Jetzt aber weiß es Ruzicka nicht nur als Manager, sondern auch als Komponist, dass Musiktheater ein ebenso mühsames wie riskantes Metier ist. Zu Beginn der Arbeit an Celan begab er sich gemeinsam mit Peter Mussbach "auf eine Reise, von der wir nicht wussten, wohin sie führt".
Nach Ruzickas Worten war es ein work in progress, während dessen die übliche Reihenfolge, nach der die Musik nach dem Text entsteht, einmal sogar umgekehrt wurde. Als Mussbachs Textlieferung nach der vierten Szene in beträchtliches Stocken geriet, hat Ruzicka einfach weiterkomponiert. Und Peter Mussbach hat den Text dann in die zunächst einmal wortlos entstandene Musik "hineingelassen".
Dass so keine Oper mit linear balladesker Handlung entstehen kann, liegt auf der Hand. In kurzen, durch Spiegelungen von Schauplätzen und Textfragmenten formal gebundenen Szenen wird vielmehr versucht, die signifikanten Ausschnitte aus Celans psychischer und physischer Lebenssituation virtuell zu schaffen.
Als den Ausgangspunkt für seine Celan-Musik bezeichnet Ruzicka kein thematisch eindeutig definiertes Grundmaterial, sondern ein "orchestral empfundenes Klangkontinuum", das den verschiedenen Schauplätzen des Werkes entsprechend variiert wird. Das Klavier hat für Ruzicka während des Komponierens eher Kontrollfunktion.