... Abseits wenig bekleideter Girlie-Bands singen Frauen über das richtige Leben - zu richtiger Musik. Sucht man im zeitgenössischen Pop nach weiblichen Acts, entsteht leicht der Eindruck, dass es keine Frauen mehr gibt. Die Rede ist von richtigen Frauen. Nicht von Kaulquappen à la Britney Spears, die wirken, als seien sie einem Ersatzteillager der Kosmetikindustrie entsprungen. "Künstlerinnen", die für ihre "Musik" ins Fitnessstudio "proben" gehen. Damit einem auf der Welttournee beim Playback-Schausingen und dem choreographierten Glücklich- und Schönsein nicht der Atem ausgeht. Nein, wir sprechen von richtigen Musikerinnen, die sich nicht halb nackt ausziehen müssen, um "Gehör" zu finden. Diese scheinen auf den ersten Blick eine bedrohte Art zu sein. Aber es gibt sie, und sie fristen kein Jammerdasein, wie man vermuten würde, sondern finden sich in den unteren Wahrnehmungsbereichen eines Erwachsenen-Mainstreams, der für die Plattenfirmen genug Profit abwirft, so dass sie dort relativ ungestört der Kunst des Songwritings nachgehen können: Aimee Mann zum Beispiel. Die Amerikanerin mit Punk-Vergangenheit wurde für ihren Song Save Me aus dem Soundtrack von "American Beauty" mit mehreren Oscar- und Grammy-Nominierungen eingedeckt. Das bedeutet künstlerisch bekanntlich nichts. Aber Mann, deren drittes Soloalbum Bachelor No.2 nun eben erschienen ist, darf man sich nicht als One-Hit-Wonder vorstellen. Mit Bachelor No.2 legt sie ein Album vor, auf dem sich die 39-Jährige inspiriert und erfahren mit den kleinen großen Dingen des Lebens befasst. Meist im Midtempo auf Basis abgebremster Schlagzeugbeats singt sie an der Akustikgitarre über Sex, der Liebe sein möchte, und andere prinzipielle Irrtümer. Oberflächlich betrachtet unspektakulär, offenbart das kompakte Album in seiner ganzen Länge bei jedem Hördurchgang weitere Songperlen: vorausgesetzt, man nimmt sich Zeit zum Zuhören. Denn: Hier spricht jemand zu uns! Während in Manns Musik kaum einmal etwa die Gitarre etwas zorniger aufmuckt, neigt die gebürtige New Yorkerin Sophie B. Hawkins durchaus zu Ausbrüchen. Die Multiinstrumentalistin - so viele Instrumente, wie ihr angelastet werden, kennt der normale Mensch gar nicht! - stützt ihre Songs meist mit warmen Perkussionsarrangements, arbeitet großzügig mit Streichern und würgt durchaus einmal stärker die Gitarre. Auch kann passieren, dass sie beim Singen einen dicken Hals bekommt, weil irgendein Typ sich als übler Kotzbrocken herausstellt und entsprechend entsorgt gehört. Auch Hawkins entkam in ihrer Vergangenheit nicht den Klauen der Grammy-Jury, auch sie kann nichts dafür. Auf ihrem in Kürze erscheinenden dritten Album überzeugt die früher als Werbejingle-Sängerin und Begleitmusikerin für Brian Ferry arbeitende Hawkins mit harmonischer Vielfalt. Ihr Album Timbre ist Mainstream-Pop im besten Sinn des Wortes. Am wenigsten mit Mainstream gemein hat schließlich Kristin Hersh. Bis heute von Grammy-Beleidigungen verschont, weist Hersh trotzdem keine schlechte Vergangenheit auf. Im Gegenteil. In den späten 80er-Jahren war Hersh Frontfrau bei den Throwing Muses, einer Power-Popband, die nicht selten mit den ebenfalls aus Massachusetts stammenden Pixies in einem Atemzug genannt wurde. Nach dem Zerfall der Musen und persönlichen Höhen und Tiefen veröffentlichte Hersh nun Sunny Border Blue. Auf diesem selbstreferenziellen und selbsttherapeutischen Album gibt sich Hersh bedingungslos offen. Beziehungsdesaster werden nicht schön gesungen, sondern zu Akustikgitarre schmerzlich intim verhandelt. Musikalisch ist Hersh dann am besten, wenn sie aus dem Käfig dieser Innerlichkeit formal ausbricht. Wenn sie Keyboards mit einbezieht, einem Piano die Melodieführung überlässt, oder, wie in dem Song Spain, einfach gute Popmusik produziert. Dieses Talent, verbunden mit Realitätsbezug eint diese drei Frauen. Sie wissen: Das Leben ist weder eine enthaarte Boygroup noch ein keimfreier Girlie-Tanzverein. (DER STANDARD, Rondo, 23.03.2001)