Sebastian Eschenbach

Stellt sich also jemand vor die Kamera und sagt, die Mitgliedsbeiträge an Gewerkschaften seien so etwas wie Schutzgelder, die von der Mafia erpresst werden; die Gewerkschaft entschließt sich daraufhin zu klagen; ein paar Leute versuchen zu vermitteln; die Aufregung der Öffentlichkeit hält sich in Grenzen. - Alles nur ein Sturm im Wasserglas?

In den vergangenen Jahren hatten wir mehrfach Gelegenheit, Frank Stronach bei seinen Auftritten zu studieren: Auf den Beobachter wirkt er schlau und beherrscht, sagt in Interviews nie etwas, was er nicht sagen will, und schon viele Journalisten haben sich die Zähne an ihm ausgebissen. Sein Spruch über Österreichs Gewerkschaften dürfte ihm also nicht "herausgerutscht" sein, sondern war durchaus als gezielte Attacke gedacht. Man fragt sich nur: Was ist das Ziel? Ich denke, es gibt zwei Möglichkeiten.

Variante eins: Im kommenden Herbst wird über Löhne und Gehälter verhandelt. Vielleicht also hat Stronach vorsorglich in Richtung der Gewerkschaften gefaucht, um damit eine besonders harte Lohnrunde anzukündigen. Einen Verhandlungspartner zu schwächen, indem man seine Legitimität in Frage stellt, ist keine feine, aber eine bewährte Technik.

Geht es bei dieser Auseinandersetzung aber tatsächlich um nicht mehr als ein Geplänkel im Vorfeld der kommenden Lohnrunde, kann man sie getrost zu den Akten legen (nachdem man sich pflichtschuldig vielleicht noch ein wenig über Stronachs rüde Manieren echauffiert hat) - ganz im Gegensatz zu Variante zwei:

Stronach sieht Österreich auf Grund seines Werdegang von außen - und aus so einer Perspektive wird wohl (über)deutlich, wie aufwendig und teuer das österreichische System der Sozialpartnerschaft (im weitesten Sinne) ist: aufwendige Mitbestimmung in mittleren und großen Unternehmen, eine große und zentral organisierte Gewerkschaft, Kammern, die beinahe jeden und jede zur Mitgliedschaft verpflichten, Mitspracherecht von Arbeitnehmer-und geberrepräsentanten in fast allen Bereichen der Gesellschaft, ...

Systematisch eingebunden

Dieses System verlangt, dass alle eingebunden sind, sonst funktioniert es nicht. Ein-gebunden im wörtlichen Sinn! Die Sozialpartnerschaft funktioniert schließlich nicht als freiwilliger Verein, bei dem sich die engagieren, für die es unmittelbar nützlich ist, während alle anderen weg bleiben können, ohne Nachteile zu befürchten. Und genau hier liegt in der Tat eine Parallele zur Mafia: Beide Systeme brechen zusammen, wenn sich zu viele Betroffene entziehen. Für beide Systeme ist es wichtig, möglichst alle Betroffenen zum Mitzahlen und Mitmachen zu bringen - wenn auch mit grundverschiedenen Mitteln und zu einem grundverschiedenen Zweck.

Frank Stronach hat sein Unternehmen jedenfalls - mit großem Erfolg - in einem System aufgebaut, das den einzelnen bedeutend weniger einengt, und vor diesem Hintergrund kann man seine Reaktion auch nachvollziehen: Er sieht nicht ein, warum man ihn jetzt in das österreichische System "einbinden" will und er dafür bezahlen soll. Folgerichtig attackiert er daher auch nicht nur die Gewerkschaft, sondern kündigt gleichzeitig den Austritt seiner Unternehmen aus der Industriellenvereinigung an.

Sozialpartnerschaft for ever?

Trifft diese Interpretation zu, dann muß man die Sache wohl ernst nehmen und fragen, ob Stronach nur ein Einzelfall ist, der den traditionellen "Austrian way of live" der Zweiten Republik nicht akzeptieren will, oder ob er, unbefangen von lokalen Rücksichtnahmen, nur ausgesprochen hat, was auch viele andere denken? ("So krass wie der Stronach kann man das ja nicht sagen, aber ganz unrecht hat er auch nicht.")

Fazit: Stronachs Vorstoß war rüde. Trotzdem sollte er als Chance genutzt werden: Die Sozialpartnerschaft ist ein wesentlicher Teil der österreichischen Wirklichkeit. Es wäre an der Zeit, öffentlich zu klären, ob und warum das so bleiben soll bzw. welchen Preis wir dafür bereit sind zu zahlen.

Sebastian Eschenbach ist Wirtschaftswissenschafter in Wien.