Literatur
Werbung ist Propaganda: "Die Nazis haben diesen Job erfunden"
Werbeprofi Frederic Beigbeders Roman "99 Francs" birgt Skandalpotential - am 29.3. liest er in Wien
Wien/Paris - Das Skandalpotenzial war groß: Der Franzose Frederic Beigbeder (34), hoch bezahlter, erfolgreicher junger Werbetexter,
schreibt eine Insider-Story aus der Werbebranche. "99 Francs" benannt, macht das Buch den Preis zum Titel. Es ist gespickt mit Sex, Drogen,
zwar ohne Rock and Roll, aber dafür mit Vergleichen zwischen Werbung und Nazi-Propaganda. Und mit werbewirksamen Auswirkungen im
"echten Leben": Die Werbefirma, bei der Beigbeder arbeitete, verschaffte sich unter ungeklärten Umständen Einblick in das unfertige
Manuskript und feuerte ihn prompt. Der Stoff, aus dem Legenden gemacht werden. Beigbeder lacht: "Es gibt wahrscheinlich 100.000 Bücher,
die jährlich auf Französisch erscheinen. Sie haben mir einen echten Gefallen getan, als sie mich gefeuert haben". Ein satirischer "Augenzeugenbericht"
Am 29. 3. wird der Autor, der in Frankreich für den nächsten Skandal nach Michel Houellebecqs "Elementarteilchen" sorgte, beim Festival "Literatur im März" in Wien lesen. Houellebecq ermunterte
Beigbeder, das Buch zu schreiben - nun ist er medienwirksamer Jungstar, der die
Aufmerksamkeit sichtbar genießt. Der Autor versichert, dass das Buch - trotz der Unglaubwürdigkeit der sexbesessenen, drogenabhängigen, zynischen und meist dem frühen Tode geweihten Charaktere - autobiografisch sei. "Komplett. Mit der Ausnahme, dass ich niemanden umgebracht habe", lacht Beigbeder. "Es ist Satire, Karikatur, ich hoffe, es ist auch lustig - aber es spiegelt das Klima, das Ambiente
der Werbewirtschaft sehr genau wieder. Es ist ein Augenzeugenbericht."
Werbung: mit einem Lächeln gewalttätig sein
Kaputte, bis ins Faschistische menschenverachtende, überhebliche Großverdiener bevölkern bei Beigbeder die oberen Etagen der großen Firmen,
ebenso kaputt, fast ebenso viel verdienend, noch überheblicher sind die "Kreativen", die die Produkte durch Manipulation von Gefühlen den
Kunden einhämmern. Schlagwörter ständig wiederholend, an die primitivsten Instinkte appellierend - Werbung ist Propaganda. "Die Nazis haben
diesen Job erfunden. Sie haben ihre Propaganda auf sehr rationale, effiziente und tragische Weise benutzt. Goebbels und Hitler haben gesagt,
dass die Menschen dumm seien und man also dumme Dinge immer wieder sagen muss. Die selben Worte verwenden die Leute in den großen
Firmen, wenn sie über ihre Kunden sprechen", schildert Beigbeder.
Einen Unterschied gebe es: "Diese Leute arbeiten in einer Demokratie. Sie sind mit einem Lächeln gewalttätig. Die Macht wird aber auf die
selbe, totalitäre Weise verwendet: Man hat keine Möglichkeit, auf Werbung zu antworten, genauso wenig wie auf Propaganda. Das macht mir
Angst. Ich will zeigen, dass Werbung nicht cool ist. Sie kann auch brutal sein." (APA)