Erfahrene Reisende würden niemals von einer geglückten Wende sprechen, kaum haben sie sich zur ersten Oase geschleppt. Wenn der Klubobmann der Volkspartei in seiner Rolle als Anderl der Wüstenfuchs dies dennoch tut, darf man sein Werk dem Publikum auch getrost vorstellen, bevor man es gelesen hat. Ohnehin leidet die Qualität einer Rezension zu oft unter vorhergehender Lektüre.
Leicht irreführend die Mitteilung des Verlages: Die Geschichte der Wende liest sich wie ein Krimi. Aha, malt man sich in gespannter Erwartung aus: Kommissar Khol und das Geheimnis der verschwundenen FPÖ-Minister. Wird endlich das Rätsel gelöst? Keine Rede davon. Dafür werden die naheliegenden Fragen: Wer sind die Schurken, wer ist der stets gelassene Held? auf eine Weise beantwortet, die bar jeder Überraschung, also eher dem Genre der Heiligenlegende als dem des Krimischockers angemessen ist: Der Regierungsverhandler Khol schreibt über die Rolle des Bundespräsidenten, SPÖ-Sphinx Heinz Fischer, Viktor Klima und über die Entwicklung des Großkoalitionärs Wolfgang Schüssel zum Bundeskanzler einer neuen Koalition. Letztere ist grandios - sorry, aber in der Wüste geht es nun einmal eintönig zu.
Allerdings muss man dem Autor zugestehen, dass er weiß, was Wüste ist. Nicht nur erinnert sich Khol an die Oppositionszeit der ÖVP, auch die lange Wanderung danach hat ihn geprägt. Als das neue Team der ÖVP unter Wolfgang Schüssel 1994 begann, war die Wende der österreichischen Politik das Ziel. Für diese zeitgeschichtliche Anmerkung muss man dankbar sein, hat doch Wolfgang Schüssel noch bis nach dem schwarz-blauen Marschbefehl im Februar 2000 allen, die es ohnehin nicht glaubten, voller Gelassenheit versichert, er hätte bis zuletzt aufopfernd mit der SPÖ über eine Fortsetzung der rot-schwarzen Koalition verhandelt - die ja wohl das Gegenteil einer Wende der österreichischen Politik gewesen wäre.
Nach Jörg Haiders Erklärung, er habe Schüssel schon im Herbst 1999 den Bundeskanzler angeboten, hielt sich die Verwunderung noch in Grenzen. Wenn Khol nun mitteilt, Schüssel habe all die Jahre seit 1994 nichts anderes im Kopf gehabt, als den Koalitionspartner in die Wüste zu schicken, ist ihm zu bestätigen, dass er als Wendehistoriker den Anforderungen eines Tacitus - sine ira et studio -, auf eine Weise gerecht wird, die erkennen lässt: Die Wahrheit ist ein Kind der Zeit.
Die vielen superben Reformen, die die schwarz-blauen Wüstenmarschierer mit killing speed - eine pro Woche, perfekt, ausgabenseitig und ohne Steuererhöhungen, wie versprochen - auf die Wüstenbewohner niederprasseln ließen, kommen in der Darstellung leider etwas zu kurz. Man könnte meinen, für den Autor sei die Wende mit der Zähmung des blauen Leitkamels geglückt. Aber es hat schon mancher an eine geglückte Wende geglaubt, dessen Gebeine unter der Sonne der Wüste Gobi bleichen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe 24./25.3.2001)