Die Geschichte hat Wien erneut eingeholt. Radikaler Populismus und opportunistischer Antisemitismus haben die Ära Lueger an der Wende zum 20. Jahrhundert geprägt. Sie sind hundert Jahre später wiedergekehrt. Und wurden in der jüngsten Wahlkampagne wiederholt, obwohl Jörg Haider vor dem Bundespräsidenten einen Text unterschrieben hat, der folgenden Satz enthält: "Die Bundesregierung arbeitet für ein Österreich, in dem Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Rassismus keinen Platz finden." Das in den letzten Tagen mehrfach aufgetauchte Argument, Jörg Haider gehöre der Bundesregierung nicht an, ist zynische Wortklauberei. Und der provokante Versuch, den Neo-Lueger aus der Verantwortung zu nehmen.

Haiders Extremismus hatte wie schon in den Wahlkämpfen zuvor enorme Wirkung. Die FPÖ, durch die Turbulenzen um den ursprünglichen Spitzenkandidaten im Minus, wurde vom wirklichen Parteiobmann noch einmal hochgezogen. Die Stadt wurde polarisiert. Hier die Freiheitlichen, die gegen die Freigabe von Drogen und gegen offene Grenzen sind, dort eine SPÖ, welche die Gemeindebauten für Ausländer aufmachen möchte.

Die Freiheitlichen haben immer nur mit radikaler Rhetorik gepunktet, weniger mit Sachpolitik. Das Kindergeld ab 2002, von der ÖVP fälschlich als Unterstützung für Bernhard Görg gedacht, wird zwar der FPÖ gutgeschrieben. Aber die Ambulanzgebühren oder die Verkehrspolitik führen auf Bundesebene vor, was Helene Partik-Pablé gegen eine eventuelle Rot-Grün-Koalition in Wien plakatiert: Das Chaos kann jetzt schon besichtigt werden, seine Farben aber sind Schwarz-Blau.

In diesem Klima haben auch ÖVP und SPÖ begonnen, aufeinander loszugehen. Immerhin aber hat Bürgermeister Michael Häupl, der sich selbst gerne zum Karl Moik der Stadtpolitik stilisiert, die Ruhe bewahrt und mit seinen Grundpositionen die Prinzipien der Zivilgesellschaft verteidigt. Görgs ÖVP stand ebenfalls für diese Linie, in der Frage der Zuwanderung mit Vorstellungen, wie sie in Kanada oder Australien praktiziert werden. Der Kulturpolitiker Peter Marboe fügte dem eine betont liberale Note hinzu: Als derzeit einziger ÖVP-Politiker, der in der Künstlerschaft auf breitere Zustimmung stößt.

Der Stadtregierung muss trotzdem vorgehalten werden, dass sie seit 1997 zu wenig gelernt hat. Die Verkehrsprobleme wurden nicht konsequent genug angepackt. Und vor allem in der Ausländerpolitik hat man die Sorgen der Wiener nicht ausreichend erkannt. Die angeblich "voll angelaufene Sprachoffensive" (Häupl) ist eine Defensive. Denn die Ausländeranteile in den Schulen etlicher Bezirke sind zu hoch, die Kommunikationsprobleme der Ärzte in den Spitälern ein Ärgernis. Wer in Österreich permanent leben möchte, muss über eine sprachliche Grundausrüstung verfügen. Das sollte durchgesetzt werden.

Jede Form der Regierung braucht eine starke Opposition. Besonders in Großstädten mit einem differenzierten kulturellen Leben. Deshalb ist die Schwelle für den Einzug in den Gemeinderat mit fünf Prozent zu hoch. Eine autoritäre Schwelle.

Die Grünen werden sie locker überspringen. Ihr Wahlkampf war witzig und dank Christoph Chorherr von den Urthemen der grünen Bewegung getragen: alternative Verkehrskonzepte, Umweltfragen und Hilfe für sozial Schwächere.

Vor hundert Jahren hat in Wien der Populismus Luegers eine liberale Fraktion, die damals als "Sozialpolitische Partei" auftrat, wieder eliminiert. Die heutigen Liberalen haben sich durch unsägliche Grabenkämpfe selbst nahezu ausgelöscht. Ihr Wahlkampf, ihre Thesen und das Auftreten Alexandra Bolenas in der TV-Debatte würden das Überleben des politischen Liberalismus jedoch rechtfertigen.

Das Ergebnis vom Sonntag wird bundespolitisch nichts verändern. Aber Auskunft geben, wie ein Viertel der Österreicher zur eben ein Jahr alt gewordenen Regierung steht. (DER STANDARD Print-Ausgabe, 24./25.3.2001)