Es regnet ständig in Kalifornien, Orkane fegen die zugenagelten Bungalows fast weg, drinnen frieren die Menschen. Schon deswegen wüsste der Leser, dass das Buch nicht in der Gegenwart beginnt. Zudem ist der Prolog datiert: "Santa Ynez, November 2025". Darauf ein Sprung in die jüngste Vergangenheit, in ein Redwood-Gebiet in Oregon: "Siskiyou Forest, Juli 1989". Zwischen diesen Zeitpunkten entfaltet T. C. Boyle sein neuestes Buch Ein Freund der Erde: Die globale Klimakatastrophe, die sich währenddessen offenbar zusammengebraut hat, ist ständiger Protagonist im Hintergrund. Sie wird nicht erklärt und nicht verdammt, doch das Handeln der Menschen kreist um sie, und insbesondere spiegelt sie sich im Schicksal des Umweltaktivisten Ty Tierwater. Seinerzeit ein Flüchtling aus der behäbigen Suburbia-Welt, ein hoffnungsvoller Anhänger der radikalen "Earth Forever"-Bewegung, fristet er 2025, kränkelnd und zynisch, sein Dasein als Tierwärter in der Menagerie eines alternden Popstars, in der sich unschwer eine Karikatur (wenn so etwas möglich ist) von Michael Jackson erkennen lässt. Hyänen, Löwen, Ameisenbären treiben sich auf dem Landgut herum - die letzten Exemplare, weil es die Tiere kaum mehr gibt, ebenso wenig wie die Wildnis in Afrika oder den Urwald auf Sri Lanka. Der Besuch seiner Exfrau Andrea reißt Tierwater in einen Strudel von Erinnerungen. Die ewige Auseinandersetzung zwischen der Natur und den Menschen begleitet leitmotivisch die Figuren des Romans. Seine erste Frau etwa, eine passionierte Erforscherin der Wildnis, verlor Tierwater durch ebendiese geliebte Natur: Ein Tier tötete sie im Nationalpark. Nicht ein Bär - eine Biene ... "Ein Freund der Erde ist ein Feind der Menschen", lautet eine der Sentenzen, die Boyle mit erzählerischem Raffinement auswalzt. Wie in seinen früheren Büchern konfrontiert er getriebene, nur scheinbar souveräne Menschen mit den Konsequenzen ihrer eigenen Passionen. Wieder scheitern sie grandios. Und wieder ist es keine Qual, sie dabei zu beobachten, weil die schiere narrative Kraft und der von Sarkasmus und Klugheit gespeiste Witz des Autors (seine irischen Wurzeln?) den gesellschaftlichen und klimatischen Verfall zum höheren Drama erheben. Boyle holt seine Inspiration aus dem amerikanischen Alltag, den er diesmal nur extrapoliert (er wohnt sozusagen ums Eck von den Tierwaters, wie er auch den Schauplatz von América aus nächster Nähe kannte), und aus realen politischen und umweltaktivistischen Galionsfiguren mit all ihren leninistischen Deformationen. In Ty Tierwater verdichtet er eine Öko-Karriere, die vom zivilen Ungehorsam bis in Hochsicherheitstrakte führt, von Kindesentführung bis zum car chase, vom Slapstick bis zur zarten Liebesgeschichte. Im Übrigen bietet ihm gerade das apokalyptische Szenario nach El Nino Gelegenheit für intelligente Anspielungen, reportagehafte Spannung und, warum nicht, auch ein paar billige Lacher: In ganz New York wird es nur mehr einen Verlag geben, und der wird Bertelsmann West heißen. Und was ist ein Umweltschützer? "Einer, der sein Häuschen in den Bergen schon hat." Jeder Freund der Erde kocht, Boyle zufolge, sein eigenes, wenn auch vegetarisches Süppchen. Ty und seine Ex erleben das, nachdem der Popstar von seinen Löwen zerfleischt worden ist und die diversen Ehefrauen bzw. deren Anwälte sich ihrerseits an die Beute machen, Pop-Memorabilia bis zurück zu den Sechzigern. Tom Wolfe, der ständig den gut recherchierten Roman fordert, wird hier von Boyle (der ihn als eines seiner Vorbilder nennt) überholt. Anders als Wolfes Ganzer Kerl, mit dem er übrigens beeindruckende Schilderungen aus dem Gefängnisalltag teilt, versandet der Freund der Erde auch nicht. Und wie sich Ty und Andrea schließlich im zerstörten Wald der Sierras einrichten, das hat fast etwas von einem happy ending. (DER STANDARD-ALBUM, Print-Ausgabe, 24./25. 3. 2001)