Bald vier Monate ist es her, dass Kambodschas Parlament für die Einrichtung eines Kriegsverbrechertribunals gestimmt hat und das dunkelste Kapitel in der Geschichte des Landes wieder aufschlug - die Schreckensherrschaft der Roten Khmer 1975-1979. Doch die beiden wichtigsten Menschenrechtsorganisationen Kambodschas - Licadho (Cambodian League for the Promotion and Defense of Human Rights) und Adhoc (Cambodian Human Rights Association) - befürchten, dass sich der Prozessbeginn weiter verzögert. Denn möglicherweise sind derzeit amtierende Politiker in die Kriegsverbrechen des Pol-Pot-Regimes involviert. "Das Kriegsverbrechertribunal könnte mehr aufdecken, als der Regierung recht ist", meint die Licadho-Direktorin Kek Galabru.
Früherer Lagerleiter
Unlängst beschuldigte die Senatorin Keo Bunthom den amtierenden Außenminister Hor Namhong, für die Verbrechen des Pol-Pot-Regimes mitverantwortlich zu sein. Als Leiter des Straflagers Boeng Trabek, in welchem sie selbst gefangen gehalten wurde, soll er Exekutionen angeordnet haben. "Wenn Hor Namhong nur die kleinste Kritik an einem Gefangenen äußerte, wurde diese Person zwei Tage später an einem anderen Ort exekutiert", berichtete die Senatorin. Neben dem derzeitigen Außenminister stehen weitere amtierende Politiker im Zwielicht - der Gouverneur der Provinz Pailin etwa oder Finanzminister Keat Chhon.
Premier beruhigt
Vor diesem Hintergrund bezweifeln Adhoc und Licadho die Unabhängigkeit der Gerichtshöfe. "Der Gerichtsrat, der die Richterposten besetzt, besteht mehrheitlich aus Mitgliedern der derzeit amtierenden Kambodschanischen Volkspartei (CCP). Ihr Vorsitzender ist Premierminister Hun Sen, der selbst Mitglied der Roten Khmer war", gibt Yi Kosalvathanak, der Sprecher der Menschenrechtsorganisation Adhoc zu Bedenken. Hun Sen soll auch persönlich zu ehemaligen Mitgliedern des Pol-Pot-Regimes gereist sein, um diese über eine mögliche Anklageerhebung zu beruhigen. Adhoc rechnet frühestens 2003 mit dem Prozessbeginn, pessimistischer schätzt Licadho die Aussichten ein: Das Khmer-Tribunal komme nie, heißt es dort. Die Bürgerrechtler spüren jedoch Unterstützung in der Bevölkerung. Bei einer Unterschriftenaktion zur Einrichtung des Kriegsverbrechertribunals im vergangenen Jahr unterzeichneten 84.195 Kambodschaner die Petition. "Selbst ehemalige Rote-Khmer-Soldaten wollen das Kriegsverbrechertribunal", sagt Adhoc-Sprecher Kosalvathanak. Das kambodschanische Dokumentationszentrum für Kriegsverbrechen führt Akten über 10.500 führende Mitglieder der Roten Khmer. Öffentlich wird bisher jedoch nur über eine Anklageerhebung gegen fünf Personen diskutiert: Ieng Sary, Nuon Chea, Khieu Samphan, Ta Mok und Khaing Khek Iev. Zwei von ihnen sind in Untersuchungshaft. Die Opposition kritisiert insbesondere, dass Premier Hun Sen von einer Anklageerhebung gegen Ieng Sary absehen will. Ieng Sary wird zugute gehalten, dass er im Jahr 1996 zwei Drittel der Streitkräfte der Roten Khmer auf Regierungsseite brachte und damit wesentlich zum Friedensprozess in Kambodscha beitrug.
Neuer Bürgerkrieg
Hun Sen warnte, dass eine Anklageerhebung gegen Ieng Sary einen neuerlichen Bürgerkrieg in Kambodscha heraufbeschwören könnte. Die Kambodschaner wissen aber genau, dass Ieng Sary als Mitglied des "Standing Comitee" - dem obersten Organ des Pol-Pot-Regimes - mitverantwortlich für die Kriegsverbrechen der Roten Khmer ist. Die Bürgerrechtler im Land lassen deshalb das Sicherheitsargument nicht gelten. "Die Roten Khmer verfügen nicht über Organisation, Struktur und Finanzen, um einen neuen Krieg zu entfachen", meint die Direktorin von Licadho. Noch aber muss König Sihanouk erst das Gesetz über die Einrichtung des Kriegsverbrechertribunals unterzeichnen.