Eine florierende Wirtschaft ist flexibel und wettbewerbsfreudig. Das hört sich gut an, aber Wettbewerb und Flexibilität haben auch Feinde. Wettbewerb bedeutet Leistungsdruck, Gewinner und Verlierer. Flexibilität heißt, dass der Status quo kurzlebig ist. Die USA haben Flexibilität und Wettbewerb begeistert umarmt. Das Resultat waren Arbeitsplätze in Hülle und Fülle, zehn Jahre boomende Börsen, Innovationen und eine rasch wachsende Produktivität. Nun verlangsamt die US-Wirtschaft das Tempo, und plötzlich stellen Beobachter die Frage, ob man wirklich von Erfolgen reden kann. Diese Tendenz, das US-Modell als Fehlschlag hinzustellen, entbehrt jeder Grundlage.

Nehmen wir doch das europäische Modell unter die Lupe: Festklammern am Status quo, nur keine Wellen schlagen, Betriebsratssitzungen, Mitbestimmung, Gewerkschaften und ein Heer gut bezahlter Arbeitsloser. Clevere linksgerichtete Regierungen arrangieren sich mit einer wohlgenährten Öffentlichkeit, die Reformen nicht einmal vom Hörensagen kennt.

Starrer Arbeitsmarkt

Denken wir an das ungewöhnliche Beispiel des deutschen Arbeitsmarktes. Die vor einigen Jahren in Frankreich eingeführte 35-Stunden-Woche war ein politischer Erfolg. Die Niederländer, Pioniere der Teilzeitarbeit, errangen ebenfalls politische Lorbeeren für ihre Vorreiterrolle. So fragten die Politiker, ob man etwas in der Art nicht auch in Deutschland versuchen sollte.

In einem jüngst erschienenen Bericht veröffentlichte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin eine sozio-ökonomische Meinungsumfrage über Wochenstunden. Es stellte sich heraus, dass von 31 Millionen Befragten 30 Prozent kürzere Arbeitszeiten (31 statt 39,1, aber mit Lohnausgleich) wünschen, 26 Prozent länger (37,4 statt 29,4) arbeiten wollen. Wesentliche Abweichungen gab es zwischen Männern und Frauen, Ost- und Westdeutschen sowie Voll- und Teilzeitbeschäftigten. Nichtsdestotrotz kann man sagen, dass viele Teilzeitbeschäftigte mehr und viele Vollzeitbeschäftigte weniger arbeiten wollen. Warum also nicht eine gesetzliche Brücke bauen.

Und das haben die deutschen Gesetzgeber ausgebrütet: Arbeiter dürfen nach sechs Monaten kürzere Arbeitszeiten beanspruchen. Umgekehrt haben Teilzeitbeschäftigte das Recht auf Vollbeschäftigung, wenn eine entsprechende Stelle frei wird. Einzige Einschränkung sind betriebswirtschaftliche Überlegungen, z. B. wenn Arbeitsprozesse auf Teilzeitbasis besser zu organisieren sind.

Aus wirtschaftlicher Sicht ist das Wahnsinn. Statt alle Voraussetzungen zu schaffen, um die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen auf internationaler Ebene zu fördern - und damit Arbeitsplätze zu schaffen, Wachstum und Wohlstand - institutionalisiert diese so genannte Reform alle Schwierigkeiten noch mehr.

In den USA sind die Gewerkschaften weitgehend irrelevant, dezentralisierte Verhandlungen zwischen Belegschaften und Firmen sind die Regel. Jeder, der willig ist, kann arbeiten. Entlassungen und Neuaufnahmen sind weitgehend Sache der Unternehmen. Entlassungen sind nicht mit hohen Kosten verbunden . Die einzige wesentliche Einschränkung für das Management ist die Erhaltung der Arbeitsmoral mit ihren Auswirkungen auf die Leistung, den Profit und die Börsenbewertung. Das Szenario in Europa könnte nicht gegensätzlicher sein.

Indirekte Steuern

Reiche Länder wie Deutschland können es sich leisten, den Unternehmen immer mehr indirekte Steuern aufzuerlegen und immer mehr Hindernisse aufzubauen. Aber selbst Deutschland kann kann es sich nicht leisten, den sozialistischen Würgegriff der Arbeiterschaft auf eine Wirtschaft zu verstärken, die sich nach kapitalistischen Gesetzen orientiert. Eines Tages wird durch Missbrauch des politischen Systems die wirtschaftliche Substanz Ersatzteillager.

Was dann? Wird dann das Märchen vom Schlaraffenland made in Germany wahr? Vom Land, in dem Milch und Honig fließen, die gebratenen Tauben dem Faulen in den Mund fliegen? Was für ein Märchen. Viele Europäer scheinen immer noch zu glauben, dass die Wirtschaft das Land der Feen ist, in dem Wunschträume Gesetzeskraft haben. Wer wird in Europa, in dem immer mehr alte Menschen leben, die Pensionen bezahlen, wer wird die Arbeitslosen erhalten, wenn so viele Menschen im Ruhestand sind?

Zum Bankrott

Japan hat zu seinem Entsetzen festgestellt, dass zwei Jahrzehnte schlechter Wirtschaftspolitik zum Bankrott führten, der die Regierung und die Staatsfinanzen in ihren Grundfesten erschüttert. Deutschland steuert mit Volldampf via Arbeitsmarkt in dieselbe Richtung. Dazu kommt, dass nicht nur Deutschland diesen Kurs eingeschlagen hat. Frankreich ist nicht viel besser und Italien noch schlimmer dran. Europas Regierungen haben die vergangenen zehn Jahre der Hochkonjunktur ungenützt vorüberziehen lassen, als tiefgreifende Reformen kaum Schmerzen verursacht hätten. Jetzt hat man die Wahl zwischen mühsamem Aufstieg oder langsamem Abstieg. Denn im Land der realen Wirtschaft hängt das Happyend von einer vernünftigen Politik ab.

Rudi Dornbusch ist Ford-Professor für Wirtschaftswissenschaft am Massachusetts Institute of Technology (MIT), Cambridge, USA © Project Syndicate, Prag 2001 (D ER S TANDARD , Print-Ausgabe, 26. 3 . 2001)