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Die Heilige Ottilie mit gotischen Brillen

Foto: APA/Fiegl
Innsbruck - Um auch im "finsteren Mittelalter" klare Sicht zu haben, griffen bereits damals die Menschen zu Sehhilfen. Die bisher "weltweit einzige" Darstellung so genannter "Lesesteine" ist auf einem etwa 500 Jahre alten Altarflügel in Tirol entdeckt worden. Mit der Darstellung von Brillen in der Gotik hatte sich ein Forschungsprojekt an der Universitätsklinik Innsbruck befasst. Die "singuläre" mittelalterliche bildliche Darstellung der Brillen-Vorläufer, der Lesesteine, entdeckte der Innsbrucker Wissenschafter Univ. Prof Franz Daxecker, Institut der Univ. Klinik für Augenheilkunde und Optometrie, auf einem Altar in der Sammlung des Prämonstratenser Chorherrenstiftes Wilten. Auf einem Flügel des Ursula- bzw. Marien-Altars um 1485/90 vom Hofmaler Ludwig Konraiter ist am Rande einer Gruppe von weiblichen Heiligen die Heilige Ottilie dargestellt. Ihr Kennzeichen als Schutzpatronin der Sehkranken und Blinden, Augen die sie auf einem Buch trägt, wurde vom Künstler durch zwei Lesesteine ersetzt. Korrekte Darstellung Der Maler stellte die gefassten, ovalen Linsen sogar mit ihren optischen Eigenschaften dar, betonte Daxecker. Die darunter liegende Schrift wurde vergrößert wieder gegeben. In literarischen Berichten gebe es bereits ältere Zeugnisse für Lesesteine, erklärte der Wissenschafter. Auf dem Weg zur eigentlichen Brille Die ersten "brauchbaren Brillen" wurden in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts in Venedig hergestellt und avancierten zum Attribut der Gelehrsamkeit. "Die Brille war damals neu und ein Statussymbol, wie etwa ein Handy vor fünf Jahren", hob Daxecker den Stellenwert der Sehhilfen hervor. Daher wollten die Altarstifter Brillen auf "ihren" Gemälden abgebildet wissen, um zu zeigen, dass auch sie "am neusten Stand" waren. Die älteste bekannte Brillendarstellung im deutschen Sprachraum befindet sich auf den um 1370 datierten Altar des Schloss Tirol bei Meran, nun im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum. Auf der Tafel mit der Darstellung des Marientodes ist ein typisches Beispiel für eine später häufig abgebildete Nietbrille zu sehen. Die hölzernen Fassungen der Linsen wurden durch eine Niete zusammengehalten und gleichzeitig beweglich gemacht. Attribute Vom italienischen Maler Tommaso da Modena stammte 1352 die "erste gemalte" Brillendarstellung. Eine ungewöhnliche Darstellung einer "grünen Brille" zeigen die Malereien der Rückseite eines "Pacher-Altars" in Gries bei Bozen in Südtirol um 1480. Christus wird von einem Pharisäer spöttisch durch eine grün-glasige goldene "Schlingenbrille" beäugt. Nicht nur Brillen auch deren Futterale wurden von Künstlern bzw. Auftraggebern einer Darstellung Wert gehalten und kennzeichneten den Abgebildeten als "gelehrt". Daxecker verwies dabei auf die Darstellung des Heiligen Bernhard auf dem Pettauer Altar, 1460/65 von Conrad Laib. Keine Brille klemmt hier auf der Nase des Heiligen, sondern an seinem Gürtel baumelt ein Brillenfutteral.(APA)