Ottawa - Jährlich steigen in der Arktis während des Frühlings die Quecksilber-Konzentrationen, in den letzten Jahren sogar zu den höchsten jemals auf der Erde gemessenen Werten. Das Rätselhafte: es gibt im hohen Norden weit und breit keine lokalen Quellen solcher Verschmutzungen. Nun haben kanadische Atmosphären-Forscher den Mechanismus, der hinter diesem bislang ungeklärten Phänomen steckt, ausfindig gemacht. Sie nennen den Vorgang "Mercury sunrise": Quecksilber-Dämmerung. Der Mechnismus nimmt seinen Lauf, indem verschmutzte, mit Quecksilber angereicherte Luft über weite Strecken durch die Atmosphäre transportiert wird und in den Luftschichten über der Arktis zum Halten kommt. Während der völlig lichtlosen Wintermonate reichert es sich dort an. Wenn jedoch nach dem Ende der Polarnacht zum ersten Mal wieder Sonnenstrahlen über den Polarkreis dringen, wird eine chemische Kettenreaktion in Gang gesetzt. Im atmosphärischen Wasserdampf enthaltene Verbindungen von Brom und Chlor werden durch die Sonneneinstrahlung hoch reaktiv. Sie reagieren mit dem vorhandenen Quecksilberdampf und atmosphärischem Ozon und zwingen das zuvor stabile Quecksilber in lösliche Verbindungen, die sich leicht auf Schnee- und Eisoberflächen anlegen und mit diesen abregnen. Bedauerliche Höchstwerte In der Forschungsstation der National Oceanic and Atmospheric Administration ( NOAA ) in Barrow, Alaska, überwachen Forscher diesen Regen von reaktivem gasförmigem Quecksilber schon seit einiger Zeit und haben dabei festgestellt, dass sich in den letzten Jahren die höchsten Quecksilber-Konzentrationen angesammelt haben, die jemals auf dem Globus gemessen wurden: Sie sind weit höher als zum Beispiel nahe den Industriestädten der US-Ostküste. Der kanadische Forscher Laurier Poissant etwa fand im Schnee rund um die Hudson Bay einen 1.600(!)prozentigen Anstieg der Quecksilberwerte nach einem entsprechenden Regenfall. Schäden am Ökosystem Das besonders Perfide am "Mercury sunrise" ist sein Timing: er tritt ja genau dann auf, wenn sich das arktische Ökosystem aus der Winterruhe erhebt. März und April sind Schlüsselmonate für Brut und Vermehrung der meisten Spezies. Und tatsächlich wurden zum Beispiel in arktischen Eisbären zehnmal höhere Quecksilber-Anreicherungen festgestellt als in den Körpern weiter südlich lebender Artverwandter. Kanadische Forscher der Universität von Manitoba haben im Wasser lebende Mikroorganismen entdeckt, die das eigentlich ziemlich stabile Quecksilber verarbeiten können - und es damit in die Nahrungskette einbringen. Wissenschafter befürchten, dass das Quecksilber nun über die Nahrungskette weitergereicht wird und dabei immer stärkere Konzentrationen bildet. Karibus und Robben werden zu "Hauptabnehmern" - und diese bilden den zentralen Bestandteil des Speiseplans der dort ansässigen Bevölkerung. Steve Brooks von der NOAA bestätigt, dass die Bevölkerung der Pol-Region durch entsprechenden Fleischkonsum hohe Quecksilbermengen aufnimmt. Diese spezielle Form von Quecksilber - Methylquecksilber - ist hochgradig giftig. Reichert es sich im menschlichen Körper über ein gewisses Maß hinaus an, kann es Gehirnfunktionen beeinträchtigen, Geburtsdefekte auslösen und letztendlich auch zum Tod führen. Beunruhigendes zuletzt Der kanadische Atmosphärenforscher Bill Schroeder warnt jedoch alle, die sich zurücklehnen und denken, die Arktis sei weit entfernt. "Mercury sunrise" sei nämlich jederzeit und überall möglich, wo es (vorübergehend) kalt ist und die Ozonschicht abgebaut wird. (UPI/red)