Wien - Medikamente gegen die männliche Impotenz haben das ehemalige Tabuthema ans "Tageslicht" gebracht. Jetzt kommen die Sexualstörungen der Frauen ins Visier der Medizin. "Sexualstörungen sind laut einer neuen Studie mit einer Prävalenz (Häufigkeit, Anm.) von 43 Prozent bei Frauen häufiger als bei Männern mit 31 Prozent", erklärte jetzt Univ.-Prof. Dr. Walter Stackl, Vorstand der urologischen Abteilung am Krankenhaus Rudolfstiftung in Wien. Der "Tanz der Männerwelt" um das "Goldene Kalb der Erektion" stellte in der Vergangenheit die Probleme der Frauen in den sprichwörtlichen Schatten. Doch von Seiten der Urologie - durchaus gemeinsam mit den Gynäkologen - kommen neue Anstöße zur Beschäftigung mit den Sexualstörungen der Frau. Viagra-Segen Die Urologen - zuletzt neben zu injizierenden erektionssteigernden Mittel wie Prostaglandin E1 vor allem mit der ersten wirklichen Potenz-Pille Viagra "gesegnet" (weitere Medikamente gegen die erektile Dysfunktion werden folgen) - bekamen zusätzliche Klientel. Der Wiener Urologe, der sich seit vielen Jahren mit solchen Störungen beschäftigt: "Mit den Männern kamen auch ihre Frauen zu uns. Und da wurde offenbar, welche Sexualprobleme sie haben." 1999 erschien eine US-Studie, die erstmals genau die ganze Malaise der Sexualstörungen der Frauen darlegte. Im angesehenen Fachjournal der American Medical Association wurden die Resultate einer Befragung von 1.622 amerikanischen Frauen im Alter zwischen 18 und 59 Jahren publiziert. Die Ergebnisse: Fehlen sexueller Lust (Libidostörungen) gaben 33 Prozent der befragten Frauen an. 18 Prozent berichteten über Erregungsstörungen. 14 Prozent der befragten Frauen litten beim Sex unter Schmerzen. 24 Prozent beklagten Orgasmusstörungen. Für 21 Prozent der Frauen bedeutete Sex "keinen Genuss". Der kleine Unterschied Die Neuerforschung der Anatomie und der Funktionen der weiblichen Sexualorgane durch die Wissenschafter hat jedenfalls in jüngster Zeit zu einem besseren Verständnis der bei Frauen auftretenden Störungen geführt. Urologe Univ.-Prof. Dr. Walter Stackl: "Ein Hauptunterschied zwischen Mann und Frau liegt darin, dass bei der Frau der gesamte Körper eine 'erogene Zone' ist. Der Mann ist eher auf den Penis konzentriert." Ein weiterer Unterschied, der heraus gearbeitet wurde, laut dem Experten: "Die Klitoris ist kein kleiner Penis. Bei sexueller Stimulation kommt es zwar zu einer Schwellung, aber nicht zu einer rigiden Erektion. Wie beim Mann spielt auch bei der Frau Stickstoffmonoxid bei der Druchblutung und der Regulation des glatten Muskeltonus in der Clitoris eine entscheidende Rolle." Wenig zu erwarten Doch obwohl Viagra gerade auf diesem Weg bei impotenten Männern seine Wirkung entfaltet, ist von seiner Wirksubstanz Sildenafil bei Sexualstörungen der Frauen wenig zu erwarten. Zwar kann die Substanz genau so wie die (Männer-)Impotenzmittel Phentolamin und Prostaglandin E1 eine durchblutungs-fördernde Wirkung für Vagina und Clitoris haben, doch klare positive Effekte wurden laut Stackl bisher nicht beobachtet. Neue Erkenntnisse könnten in Zukunft auch Erregungsstörungen bei Frauen behandelbar machen. Während die Medizin früher postulierte, dass Drüsen in der Vagina beim Sex die Scheide feucht machen, hat sich das als einfach falsch herausgestellt. "Diese 'Drüsen' gibt es nicht", sagte der Urologe. Verschiebungen in der Elektrolyt-Balance (Natrium-Kalium) in der Vaginalwand bedingen die Lubrifikation als Folge der Erregung. Keine Ahnung von Anatomie Freilich, so gute medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten wie bei der erektilen Dysfunktion des Mannes gibt es für die Frauen mit den unterschiedlichen Störungen nicht. Stackl: "Im Zentrum der Behandlung steht die Sexualtherapie von Patient und Partner." Das sollte auch eine bessere Aufklärung über die Anatomie der Frau umfassen. Der Urologe: "Aus Studien weiß man, dass 50 Prozent der Frauen ihre eigene Anatomie nicht kennen." Der Anteil nicht-wissender Männer: 80 Prozent. Am ehesten sind noch Libido- und Erregungsstörungen bei Frauen behandelbar. Hier gibt es bereits mehrere wissenschaftliche Studien, wonach man bei Frauen mit zu wenig Androgenen die Libido durch eine Hormonsubstitution mit Testosteron bzw. DHEA verstärken kann. Nach der Menopause kann eine Östrogen-Ersatztherapie ebenfalls die Sexualfunktionen verbessern. Von der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA wurde vor Kurzem auch ein Gerät zur Verbesserung der Genitaldurchblutung bei Frauen zugelassen. Ob das neue Impotenz-Medikament für den Mann, die Substanz Apomorphin, auch bei Frauen wirkt, ist noch nicht geklärt. (APA)