Wien - Es war fast so etwas wie eine späte und finale Liebe, die die Wiener ÖVP am Montag zu ihrem Obmann Bernhard Görg entdeckt hat. Einig wie selten versuchte sie ihn in vielen Telefonaten und vertraulichen Vier-Augen-Gesprächen davon abzubringen, im Parteivorstand seinen Rücktritt anzubieten. "Wir brauchen Görg. Für einen überhasteten Rückzug habe ich nichts über", tönte der mächtige Wirtschaftskammer-Präsident Walter Nettig im Standard-Gespräch. Und selbst ÖAAB-Vertreter und Klubchef Johannes Prochaska, sonst selten um eine Görg-kritische Äußerung verlegen, wollte Görg im Standard-Gespräch die Schuld am enttäuschenden Wahlergebnis nicht anlasten: "Görg ist gelaufen, wie’s ihm kaum einer zugetraut hätte." Wenn auch alle, wie es ein Vorständler formulierte, "auf Görg draufknien", um ihn vom Rückzug abzubringen, waren sich genauso alle einig, dass Görg eine geordnete Übergabe der Parteispitze vorbereiten müsse: "In die nächste Wahl werden wir wohl nicht mehr mit ihm gehen. Jetzt haben wir aber keinen Wunderwuzzi, der ihn ersetzt", formulierte Prochaska. Der Immobilienmakler und Gemeinderat Alexander Neuhuber, der immer wieder als Zukunftshoffnung der ÖVP genannt wird, hat schon einen Plan für die geordnete Übergabe: "Für eine Übergabe ist es nötig, dass Görg bleibt. Görg soll bleiben, die Verhandlungen mit der SPÖ führen, dann Klubobmann werden und im Laufe der Legislaturperiode einen Nachfolger aufbauen." Richtungsstreit Ein gezielter Seitenhieb gegen Klubchef Prochaska, der auch in einer Richtungsdiskussion in der ÖVP begründet ist. Schwebt doch dem wirtschaftsliberalen Neuhuber eine Umorientierung der ÖVP zur "urbanen Stadtpartei" vor, schwungvoll wie seinerzeit, als Erhard Busek die "bunten Vögel" für die Wiener ÖVP erfand. In einer derartigen Partei hätte "Stahlhelm" Prochaska keinen Platz. Prochaska wiederum hält Neuhuber für unbedeutend in der Partei und formuliert auch eine völlig andere Richtung für die ÖVP: Nach dem Vorbild der bayerischen CSU solle sie einen strikt konservativen Kurs fahren, wünscht Prochaska. Und kontert Neuhubers Seitenhieb mit einer Attacke gegen den zu zahmen Wirtschaftsflügel: "Es gab einflussreiche Kreise, die nicht gegen die SPÖ Wahlkampf führen wollten." Welche Richtung auch immer sich durchsetzt - auf jeden Fall will Prochaska eine klare Positionierung: "Bisher waren wir alles, aber nur ein bisserl. Ein bisserl liberal, ein bisserl konservativ, ein bisserl wirtschaftsfreundlich - das geht halt nicht." Während Prochaska die Schuld am Wahlergebnis in der diffusen Ausrichtung sieht, gibt es einen, der Görg die Schuld gibt: Werner Suppan. Teamgeist und Teammanagement habe gefehlt, Peter Marboe sei zu sehr versteckt worden, kritisiert Suppan. Er ist allerdings nicht unbefangen: Hat er doch vor einem Jahr gegen Görg kandidiert. (DER STANDARD Print-Ausgabe vom 27.3.2001)